1. Kollisionsrechtliche Behandlung der internationalen Verschmelzung
Rz. 97
Die Verschmelzung von Gesellschaften wird dem Gesellschaftsstatut unterstellt. Sofern die miteinander verschmolzenen Gesellschaften verschiedenen Gesellschaftsstatuten unterliegen, ist eine Verschmelzung nur dann möglich, wenn Voraussetzungen und Erfordernisse der für sämtliche verschmolzenen Gesellschaften geltenden Rechtsordnungen gleichzeitig beachtet werden (Kombinationslehre bzw. Vereinigungstheorie). Sämtliche beteiligten Rechtsordnungen müssen die grenzüberschreitende Verschmelzung zulassen. In Bezug auf die Zulässigkeit der grenzüberschreitenden Verschmelzung ergibt sich damit eine kumulative Anwendung der Gesellschaftsstatute. Für die hierbei einzuhaltenden Erfordernisse (Verschmelzungsbeschluss, Konsultation des Betriebsrats etc.) gelten für jede Gesellschaft die von ihrem Gesellschaftsstatut aufgestellten Erfordernisse (distributive Anknüpfung).
2. Grenzüberschreitende Verschmelzung europäischer Kapitalgesellschaften
Rz. 98
Eine erste Möglichkeit zu einer grenzüberschreitenden Verschmelzung europäischer Kapitalgesellschaften hat die SE-VO geboten. Darüber hinausgehende Möglichkeiten zur grenzüberschreitenden Verschmelzung wurden durch die Verschmelzungsrichtlinie (Zehnte gesellschaftsrechtliche Richtlinie der EU) eingeführt, die mittlerweile in Art. 118 ff. EU-GesR-RL kodifiziert und durch das Company Law Package modernisiert wurde. Der deutsche Gesetzgeber hat die Richtlinienvorgaben in §§ 122a–122l UmwG a.F. umgesetzt. Seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie und zur Änderung weiterer Gesetze (UmRUG) finden sich die nationalen Regelungen zur grenzüberschreitenden Verschmelzung in §§ 305 ff. UmwG. Die Vorschriften beschränken sich allerdings auf die Verschmelzung von Gesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten der EU bzw. des EWR.
Der europäische Gesetzgeber hat die Möglichkeit der grenzüberschreitenden Verschmelzung zudem nur für Kapitalgesellschaften, nicht jedoch für Personengesellschaften, harmonisiert. Im Hinblick auf den Brexit hat der deutsche Gesetzgeber lediglich die grenzüberschreitende Verschmelzung auf Personenhandelsgesellschaften mit in der Regel nicht mehr als 500 Arbeitnehmern in § 122b Abs. 1 Nr. 2 UmwG a.F. aufgenommen. Die Regelung findet sich seit Inkrafttreten des UmRUG ohne inhaltliche Änderung in § 306 Abs. 1 Nr. 2 UmwG. Zum Verfahren der grenzüberschreitenden Verschmelzung siehe die Ausführungen in § 14 Rdn 410 ff..
3. Grenzüberschreitende Verschmelzung mit Nicht-EU-Gesellschaften
Rz. 99
Die Zulässigkeit der grenzüberschreitenden Verschmelzung nach deutschem materiellen Recht über die §§ 305 ff. UmwG hinaus ist umstritten. Ein Teil der Lehre geht davon aus, dass sich aus § 1 Abs. 1 UmwG eine Regelungslücke ergebe, da sich das UmwG auf Verschmelzung unter "Rechtsträgern mit Sitz im Inland" beschränke. Folge sei, dass in Bezug auf Verschmelzungen unter Beteiligung von Rechtsträgern ohne Sitz im Inland ein gesetzlich nicht geregelter Bereich bestehe, sodass man insoweit keine Erlaubnis und kein Verbot annehmen könne. Die wohl überwiegende Auffassung verweist hingegen darauf, dass gem. § 1 Abs. 2 UmwG Umwandlungen der in § 1 Abs. 1 UmwG nicht genannten Typen nur vorbehaltlich einer gesetzlichen Regelung zulässig seien. Damit handele es sich bei den in § 1 Abs. 1 UmwG genannten Verschmelzungen unter Rechtsträgern mit Sitz im Inland um einen numerus clausus der Umwandlungsmöglichkeiten.
Rz. 100
Die gerichtliche Praxis hatte schon vor der Umsetzung der Verschmelzungsrichtlinie in mehreren Fällen grenzüberschreitende Verschmelzungen vollzogen. Es ging dabei aber nahezu ausschließlich um "Hereinverschmelzungen", also die Verschmelzung einer ausländischen Tochter auf ihre deutsche Mutter. Zudem handelte es sich um Gesellschaften aus Staaten, in denen – nicht zuletzt wegen der Umsetzung der einschlägigen europäischen Richtlinien, insb. der Verschmelzungsrichtlinie – weitgehend homogene Regeln für die Verschmelzung bestanden, sodass allenfalls im Detail Anpassungsprobleme entstanden.