a) Allgemeines
Rz. 40
Die VP muss die Gesundheitsschädigung unfreiwillig erlitten haben. Dies wird durch den Aufbau von Ziff. 1.3 AUB 2020 deutlich, wurde aber bereits früher genauso verstanden.
Unfreiwillig bedeutet "nicht vorsätzlich", wobei auch der bedingte Vorsatz die Unfreiwilligkeit entfallen lässt. Die Gesundheitsschädigung ist somit bereits freiwillig und ein Unfall liegt nicht vor, wenn die VP die Gesundheitsschädigung zwar nicht will, jedoch billigend in Kauf nimmt. Passives Geschehenlassen (Dulden) trotz Vermeidbarkeit steht dabei aktivem Handeln gleich.
b) Fahrlässig geschaffene Gefahrenlage
Rz. 41
Es genügt zur Annahme der Unfreiwilligkeit auch das Vorliegen sog. bewusster Fahrlässigkeit. Derjenige, welcher sich bewusst Gefahren aussetzt, erleidet somit eine unfreiwillige Gesundheitsschädigung, wenn er sich diese zwar als möglich vorstellt, aber darauf vertraut, dass sie nicht eintreten wird. Dies gilt auch, wenn er sich bewusst einem hohen Risiko aussetzt, aber darauf vertraut, er werde nicht verunglücken.
Beispiel
Die VP injiziert sich vorsätzlich Heroin und stirbt an den Folgen der Dosis. Auch wenn sich die VP bewusst einer Gefahr ausgesetzt hat, liegt Unfreiwilligkeit vor, wenn sie einen glimpflichen Ausgang erhoffte, also den Tod nicht billigend in Kauf genommen hat. Leistungsausschlüsse sind aber zu beachten.
Rz. 42
Eine grob fahrlässige Herbeiführung der Gesundheitsschädigung ist unschädlich, da § 81 VVG auf die private Unfallversicherung keine Anwendung findet; nur vorsätzlich herbeigeführte Schäden führen zum Leistungsausschluss nach § 183 VVG.
c) Freiwillig (vorsätzlich) geschaffene Gefahrenlage
Rz. 43
Problematisch sind die Fälle, bei denen die VP zunächst die Absicht hatte, sich vorsätzlich zu verletzen (oder zu töten), im weiteren Verlauf jedoch hiervon Abstand nimmt, eine Gesundheitsschädigung aber dennoch eintritt.
Der innere Sinneswandel allein reicht zur Annahme einer Unfreiwilligkeit nicht aus. Ob ein "mentaler" Rücktritt bzw. ein "Rücktritt von der Freiwilligkeit" zur Unfreiwilligkeit führt, hängt vielmehr von der Beherrschbarkeit der freiwillig geschaffenen Gefahrenlage ab. Wenn die VP das freiwillig in Gang gesetzte Geschehen nicht mehr beherrscht, so ist der mental erklärte Rücktritt unbeachtlich. Bleibt hingegen im Anschluss an den Sinneswandel der VP noch genügend Zeit, einer Gesundheitsschädigung zu entgehen, so ist von einer unfreiwilligen Gesundheitsschädigung auszugehen, wenn die Ursache für das Scheitern des Rücktritts sich aus Umständen ergibt, die außerhalb des von ihr in Gang gesetzten Geschehens liegen. Die VP musste selber objektiv noch in der Lage gewesen sein, das Geschehen zu verhindern.
Beispiel
Die VP legt sich in Verletzungsabsicht auf Bahngleise. Als sich der Zug nähert, nimmt die VP von ihrem Vorhaben Abstand, jedoch so spät, dass ihr das Entkommen missglückt, sie vom Zug erfasst wird und ein Bein verliert. Hier besteht kein Versicherungsschutz.
Rz. 44
Schlägt ein Suizid fehl und führt der Versuch zu Gesundheitsschädigungen, so sind diese freiwillig erlitten. Eine Gesundheitsschädigung nimmt die VP als für den Eintritt ihres Todes notwendiges Durchgangsstadium zumindest billigend in Kauf. Dies gilt unabhängig davon, ob der nach einem gescheiterten Freitod eingetretene Zustand (z.B.) der Invalidität in die Vorstellung der VP aufgenommen war oder nicht.
Rz. 45
Soweit die konkret eingetretene Gesundheitsschädigung von der erwarteten Gesundheitsschädigung abweicht, ist Freiwilligkeit dann gegeben, wenn nur eine unwesentliche Abweichung vom geplanten Kausalverlauf vorliegt. Will sich z.B. die VP den Daumen abhacken, trifft aber einen anderen Finger, so liegt kein Unfall vor, da die konkrete Gesundheitsschädigung wegen einer nur unwesentlichen Abweichung vom Kausalverlauf freiwillig erfolgte. Auch hier hat die VP vorsätzlich ein gesundheitsschädliches Geschehen in Gang gesetzt, welches für sie nicht mehr beherrschbar war.
Beispiel
Die VP schlägt aus Wut oder zum Abreagieren mit der Faust gegen eine Wand. Dabei bricht der 5. Mittelhandknochen.
Wer mit Wucht gegen eine Wand schlägt, nimmt zumindest Blutergüsse und Prellungen bewusst billigend in Kauf. Auch hier ist die Abweichung der VP zuzurechnen. Es besteht kein Versicherungsschutz.
d) Beweisregeln
Rz. 46
Grundsätzlich hat der VN die Voraussetzungen für seinen Anspruch und damit auch für die Tatbestandsmerkmale des...