Rz. 27
Unstrittiger Ausgangspunkt ist zunächst, dass ein Ereignis auch dann von außen auf den Körper wirkt, wenn die VP durch eigene Bewegung eine Kollision ihres Körpers mit der Außenwelt verursacht hat, z.B. gegen ein Hindernis läuft.
Rz. 28
Eine Einwirkung von außen liegt nach allgemeiner Ansicht bei Eigenbewegungen mit regulärem Ablauf nicht vor. Wenn die Eigenbewegung vollständig und in ihrem gesamten Verlauf willensgesteuert und planmäßig abläuft, liegt also kein Unfall vor, z.B. beim Lossprinten während eines Hallenfußballspiels, dem Aufstehen aus der Hocke oder dem Anheben einer Mörtelwanne.
Hinweis
Kein Unfall sondern eine Eigenbewegung liegt vor, wenn die Eigenbewegung regulär verläuft. Dann ist ein Anspruch über die sog. Unfallfiktion zu prüfen (Ziff. 1.4.1 AUB 2020).
Rz. 29
Für die weitere Abgrenzung ist darauf abzustellen, ob die ausgeführte Handlung regelgerecht oder regelwidrig ablief. Bei irregulärem Verlauf der Eigenbewegung der VP können dann Einwirkungen von außen wirken, wenn äußere Umstände zum Abweichen von der geplanten und willensgesteuerten Bewegung führen; z.B. beim Umknicken des Fußes an einer Bordsteinkante oder wenn ein Fuß auf einem stark bremsenden ("stumpfen") Hallenboden kleben bleibt oder bei einem Achillessehnenriss nach Pressball beim Fußballspielen.
Rz. 30
Praxistipp
Ist es zu einem Sturz der VP gekommen und die Verletzung durch den Sturz verursacht, so sind Erwägungen zu einem regulären oder irregulären Ablauf einer Eigenbewegung überflüssig. Es ist demnach an dieser Stelle gleichgültig, ob der Sturz auf Glatteis, unebenem oder ebenem Boden erfolgte, ob also zuvor eine reguläre oder irreguläre Eigenbewegung vorlag. Wenn feststeht, dass der Gesundheitsschaden durch den Aufprall beim Sturz unmittelbar verursacht ist, so ist dieser Aufprall ohne Weiteres ein von außen auf den Körper wirkendes Ereignis.
Rz. 31
Auch eine eigentlich planmäßige Eigenbewegung kann dadurch, dass sie eine unerwartete Wendung nimmt, den Unfallbegriff erfüllen. Trifft die VP etwa beim Sprung von einer Mauer unerwartet hart auf den Boden, so ist aufgrund dieser Fehleinschätzung ein von außen wirkendes Ereignis anzunehmen.
Rz. 32
Nimmt die Arbeit mit einem Gegenstand einen irregulären Verlauf in der Art, dass die Kraftanstrengung von außen provoziert ist, liegt ein Unfallereignis vor. Der Gegenstand entwickelt dabei eine Eigendynamik, welche die VP nicht mehr regulär kontrollieren kann. Es liegt beim Hantieren mit Gegenständen dann kein von außen wirkendes Ereignis vor, soweit der Gegenstand keine Eigendynamik entwickelt, also im Sinne eines regulären Verlaufs unter Kontrolle der VP bleibt. Hierbei erlittene Gesundheitsschädigungen sind rein innere Vorgänge.
Beispiele für Einwirkungen von außen
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Heben zwei Männer einen ca. 50 kg schweren Grabstein an und lässt dann die zweite Person den Stein los und zu Boden fallen, so entfaltet der Stein für die erste Person eine Eigendynamik durch das nun von ihm zu haltende Gewicht, so dass ein hierdurch erlittener Kompressionsbruch des 5. Lendenwirbelknochens unfallbedingt ist. |
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Erleidet die VP wegen eines Sprungs von einer ca. 50 cm über dem Boden erhöhten Transportfläche mit einer ca. 80 kg schweren Glasscheibe eine Wadenverletzung mit Muskelfaserriss, so ist aufgrund der Eigendynamik der Glasscheibe von einem Unfallereignis auszugehen, trotz der von der VP willentlich in Gang gesetzten Bewegung. |
Beispiele für keine Einwirkung von außen
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Bandscheibenvorfall beim Anheben eines Rasenmähers, da von dem Einwirkungsgegenstand keine unerwartete Bewegung ausgegangen ist, welche die VP z.B. ins Straucheln gebracht hätte. |
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Bandscheibenvorfall beim Herausziehen eines Strauches aus dem Erdboden, da die VP ihre Verletzung bei einer gezielten, von ihr in vollem Umfang gesteuerten Kraftanstrengung erlitten hat. |
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Rückenverletzung beim Anheben einer Walze, da die Walze keine Eigendynamik entwickelt hat, welche die VP zu einer spontanen extremen Bewegung gezwungen hätte. |
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Gesundheitsschädigung infolge Ziehens an einem schwergängigen Hebel. |
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Anheben einer ca. 50–75 kg schweren Eichentür mit dem Fuß, da die VP lediglich eine willensgemäße Bewegung ausgeführt hat. |
Rz. 33
Ein Unfallereignis ist auch dann anzunehmen, wenn die Eigenbewegung durch eine äußere Einwirkung bewirkt (provoziert) wurde. Zu beachten ist jedoch, dass die äußere Einwirkung irregulär sein muss, also von vorneherein aus Sicht der VP nicht einkalkuliert gewesen sein darf.
Beispiele
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Verletzung durch Abspringen von einem Fahrrad nach Berührung des Fahrrads durch die Anhängerkupplung eines rückwärtsfahrenden Pkw. |
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Gesundheitsschädigung durch das Auffangen eines aus dem Bett fallenden Patienten. |
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Gesundheitsschädigung durch Stemmen gegen eine plötzlich kippende Schalwand. |
Es genügt auch hier eine rein psychisch vermittelte Einwirkung (z.B. Vermeidungsreflex). Das äußere Ereignis muss also nicht unmittelbar physisch oder mechanisch ...