A. Einleitung
I. Allgemeines
Rz. 1
Die private Unfallversicherung ist eine Personenversicherung mit hauptsächlich als reine Summenversicherung ausgestalteten Leistungsarten. Gesetzlich finden sich die Vorschriften zur privaten Unfallversicherung in §§ 178–191 VVG.
Der Vertrag unterscheidet zwischen dem Versicherungsnehmer (VN), der über die Rechte aus dem Vertrag gegenüber dem Versicherer (VR) verfügt und diese ausübt, und der versicherten Person (VP), der die Rechte materiell zustehen. Sind VN und VP personenidentisch, dann spricht man von einer Eigenversicherung. Sind sie nicht personenidentisch, dann gilt der Vertrag im Zweifel als auf fremde Rechnung genommen, § 179 Abs. 1 S. 2 VVG.
Zweck der privaten Unfallversicherung ist es, vor den wirtschaftlichen Folgen einer durch Unfall eingetretenen Gesundheitsschädigung zu schützen.
Rz. 2
Die private Unfallversicherung unterliegt der Vertragsfreiheit (Privatautonomie) und ist somit als zivilrechtlicher Vertrag frei vereinbar. Es werden Risiken des Berufs- und des Privatlebens, auf der ganzen Welt, mit an die eigenen Bedürfnisse angepassten Versicherungssummen abgedeckt, im Sinne einer abstrakten Bedarfsdeckung. Strikt abzugrenzen ist sie von der gesetzlichen Unfallversicherung, geregelt im 7. Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB VII). Diese bietet als Zwangsversicherung Schutz vor den Folgen von Arbeits- bzw. Berufsunfällen. Ihre Rahmenbedingungen sind gesetzlich geregelt und die Leistungen knüpfen sich an den Begriff der Erwerbs(un-)fähigkeit. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) kann nicht mit einer Invalidität i.S.d. privaten Unfallversicherung gleichgesetzt werden.
II. Anspruchsprüfung
Rz. 3
Für die Anspruchsprüfung bietet sich gedanklich folgendes Vorgehen an:
▪ |
Schadenereignis (Unfall oder Unfallfiktion), |
▪ |
Fehlen von Ausschlussgründen, |
▪ |
Leistungsvoraussetzungen. |
Rz. 4
Dies entspricht nicht dem Aufbau der neueren Bedingungswerke, weil darin die für den VN negativen Ausschlüsse erst nach den vereinbarten Leistungen genannt werden. Es entspricht aber dem Weg der Anspruchsbegründung und Leistungsprüfung.
Ohne Unfall (oder gleichgestelltem Ereignis) greift der Versicherungsschutz gar nicht ein. Gleiches gilt, wenn es sich um einen nicht vom Versicherungsschutz umfassten Unfall (Ausschlusstatbestand) handelt. Erst dann muss für jede einzelne versicherte Leistungsart der Leistungsanspruch gesondert dem Grunde und der Höhe nach geprüft werden. Diesem Gedankengang folgt der weitere Aufbau der Darstellung.
Rz. 5
Die Beachtung einiger Fristen ist wichtig. Es kann weitere als die folgenden Fristen geben, zu anderen Leistungsarten oder auch in Abänderung der Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB 2020/2014).
Unverzüglich |
Arzt hinzuziehen (Ziff. 7.1) VR unterrichten (Ziff. 7.1) |
48 Stunden |
Meldung Todesfall (Ziff. 7.5) Verlängerung der Frist durch Sondervereinbarung prüfen |
6 Monate |
Übergangsleistung, 50 % Leistungsunfähigkeit (Ziff. 2.3.1.1 AUB 2014) |
7 Monate |
Geltendmachung Übergangsleistung beim VR mit Attest (Ziff. 2.3.1.2 AUB 2014) |
1 Jahr |
Todesfallleistung nur bei Tod binnen Jahresfrist (Ziff. 2.6.1) Eintritt der Invalidität (ältere AUB) |
15 Monate |
Eintritt der Invalidität (Ziff. 2.1.1.2) Ärztliche Feststellung der Invalidität (Ziff. 2.1.1.2) Geltendmachung der Invalidität beim VR (Ziff. 2.1.1.3) |
3 Jahre |
Maximaler Zeitpunkt für Geltendmachung der Neubemessung (Ziff. 9.4) Ausschlussfrist für Kosmetische Operationen (Ziff. 2.7.1) |
5 Jahre |
Zeitpunkt für Neubemessungsverlangen bei Kindern (Ziff. 9.4 lässt dies offen, in der Praxis aber gebräuchlich) |
mehr als 5 Jahre |
Kosmetische Operationen bei Kindern bis zum 21. Lebensjahr (Ziff. 2.7.1) |
III. Bedingungsgenerationen
Rz. 6
Die folgenden Ausführungen orientieren sich an den aktuellen AUB aus dem Jahr 2020. Viele Aspekte ziehen sich aber – im Ergebnis gleich – auch durch die früheren Bedingungsgenerationen und können, selbst wenn sich die Rechtsprechung auf andere Bedingungswerke bezieht, gleich gehandhabt werden. Die wichtigsten Besonderheiten anderer Bedingungswerke werden genannt, zum Teil mit Hinweisen auf vertiefende Literatur.
Rz. 7
Die AUB 2020 basieren auf den AUB 2014 und entwickeln diese weiter. Die AUB 2014 sind von der Grundstruktur her vergleichbar mit den Vorgängerbedingungen, enthalten aber durch eine komplette Überarbeitung so viele sprachliche und gliederungstechnische Änderungen, dass man diese als neue Bedingungsgeneration einordnen sollte.
Änderungen gibt es vor allem beim erweiterten Unfallbegriff. Zur erhöhten Kraftanstrengung (Ziff. 1.4 AUB 2014, Ziff. 1.4.1 AUB 2020) und dem Ausschluss von Bewusstseinsstörungen (Ziff. 5.1.1) wurden Definitionen in die AUB aufgenommen. Ebenfalls neu sind die Leistungsarten der Ziff. 2.2 (Unfallrente), der Ziff. 2.7 (Kostenerstattung für kosmetische Operationen) und Ziff. 2.8 (Kostenerstattung für Such-, Bergungs- oder Rettungseinsätze) in die Musterbedingungen aufgenommen worden. Gestrichen wurde das Genesungsgeld bereits in den AUB 2014, die Übergangsleistung in den AUB 2020. Beide Leistungsarten werden weiterhin von den VR angeboten.
Auffallend und ...