Dr. Jörg Kraemer, Frank-Michael Goebel
Rz. 212
Die Erinnerung nach § 766 ZPO ist grundsätzlich an keine Frist gebunden. Allerdings ist im Hinblick auf das Rechtsschutzbedürfnis zu beachten, dass sie grundsätzlich erst gegeben ist, wenn die Zwangsvollstreckung begonnen hat oder aber unmittelbar bevorsteht und durch diese ein irreparabler Schaden entstehen würde und der Androhung der Zwangsvollstreckung bereits der gerügte Verfahrensfehler anhaftet. Allein die Tatsache, dass die Erinnerung erst mehr als drei Monate nach der Vollstreckungsmaßnahme eingelegt wird, begründet nicht die Annahme des Rechtsmissbrauches.
Rz. 213
Die rein fiktive Annahme, dass der Gerichtsvollzieher einen Antrag der Gläubigerin zur Durchführung einer Nachbesserung des Vermögensverzeichnisses ablehnen könnte, rechtfertigt allerdings noch kein Rechtsschutzinteresse des Gläubigers an einer Erinnerung gegen die Art und Weise der Zwangsvollstreckung nach § 766 ZPO. Es ist immer erst ausdrücklich die Nachbesserung zu verlangen, auch wenn die Praxis täglich mit den Abwehrhaltungen der Gerichtsvollzieher zu kämpfen hat, weil die Nachbesserung nach § 7 GvKostG kostenfrei durchzuführen ist.
Rz. 214
Verstöße gegen die GVGA können als solche (wenn sie nicht auch Verstöße gegen die ZPO sind) keine Erinnerungsbefugnis begründen. Die GVGA hat keinen Gesetzescharakter und betrifft nur das Innenverhältnis zwischen Gerichtsvollzieher und seinem Dienstherrn. Die Einhaltung der Vorschriften ist zwar Amtspflicht des Gerichtsvollziehers; als Verwaltungsvorschrift hat sie aber keine weitere Außenwirkung. Entsprechendes gilt für die GVO.
Rz. 215
Hinweis
Hat der Gerichtsvollzieher eine Räumung angekündigt, die der Schuldner für rechtswidrig erachtet, etwa weil nicht gegen alle Mitbesitzer ein Vollstreckungstitel vorliegt und damit der angekündigten Vollstreckung ein Verstoß gegen § 750 ZPO anhaftet, muss er unmittelbar Vollstreckungserinnerung einlegen. Anderenfalls verliert er das Rechtsschutzbedürfnis. Eine Erinnerung nach § 766 ZPO im Sinne einer Fortsetzungsfeststellungsklage ist dann ebenso wenig möglich wie die Erinnerung mit dem Ziel, wieder in den Besitz eingewiesen zu werden. Die Besitzeinweisung ist dann nur aufgrund einer neuen materiell-rechtlichen Klage wegen unberechtigter Besitzstörung möglich. Dem Erfolg einer solchen Klage dürfte aber regelmäßig § 864 BGB, insbesondere § 864 Abs. 2 BGB entgegenstehen, weil der Gläubiger den titulierten Anspruch auf die Räumlichkeiten hat. Hier schaffen Fakten mithin eine beständige Rechtslage.
Rz. 216
Andererseits entfällt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Gläubiger im Wege der Erlösauskehr abschließend befriedigt ist oder eine Vollstreckungsmaßnahme in sich gänzlich abgeschlossen ist. Maßgeblich ist, dass keine durch eine erfolgreiche Erinnerung zu beseitigenden Folgewirkungen mehr vorliegen.
Rz. 217
Entgegen einer Mindermeinung entfällt das Rechtsschutzbedürfnis allerdings nicht dadurch, dass lediglich noch eine Bagatellforderung zu vollstrecken ist. Das geltende Recht kennt keine Mindesthöhe für eine zu vollstreckende Forderung. Insoweit verbleibt es bei dem aus Art. 14 GG verfassungsrechtlich gesicherten Anspruch des Gläubigers auf eine umfassende und effektive Zwangsvollstreckung. Da der Staat für sich das staatliche Gewaltmonopol in Anspruch nimmt, muss er andererseits eine vollständige und effektive Zwangsvollstreckung garantieren. Der Schuldner kann auch den allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht für sich in Anspruch nehmen, da allein seine Handlung unverhältnismäßig ist, nämlich eine Bagatellforderung nicht auszugleichen.
Rz. 218
Hinweis
Allerdings kann zu Recht verlangt werden, dass der Gläubiger den Schuldner zur Zahlung der offenen Bagatellforderung unter Fristsetzung auffordert, bevor er eine kostenintensivere Vollstreckungsmaßnahme veranlasst. Dies empfiehlt sich generell. Es darf aber nicht übersehen werden, dass für das Aufforderungsschreiben bereits die 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG für den Rechtsanwalt anfällt. Gegenüber einer durchgeführten Vollstreckungsmaßnahme werden also allein die Gebühren und Auslagen des Vollstreckungsorgans erspart.
Rz. 219
Im Einzelfall kann der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei einer Bagatellforderung allenfalls verlangen, dass der Gläubiger auf den Vermögensgegenstand zugreift, dessen Verwertung den Schuldner am wenigsten belastet. Insoweit wird die Anordnung der Zwangsversteigerung eines Grundstückes verweigert werden dürfen, wenn auch eine Pfändung des Arbeitslohnes zur sicheren Befriedigung des Gläubigers führt.
Rz. 220
Soweit die Praxis zeigt, dass der Staat in verschiedenen Bereichen auf die Beitreibung von Bagatellforderungen verzichtet, kann hieraus nichts hergeleitet werden. Der Staat tritt hier wie jeder andere Gläubiger auf und macht in dieser Funktion von seiner Dispositionsbefugnis Gebrauch, die Zwangsvollstreckung zu betreiben oder dies zu unterlassen. Im Hinblick auf das Kostenrisiko – der Gläubiger muss ...