Rz. 10
Sofern nur der Kläger oder nur der Beklagte fristgerecht Berufung eingelegt hat, kann sich die jeweils andere Partei der bereits eingelegten Berufung binnen der dem Berufungsbeklagten für die Erwiderung auf die Berufungsbegründung gesetzten Frist (§ 524 Abs. 2 Satz 2) mittels einer zu begründenden Berufungsanschlussschrift anschließen. Gemäß § 524 Abs. 2 ZPO ist die Anschließung auch statthaft, wenn der Berufungsbeklagte auf die Berufung verzichtet hat oder die Berufungsfrist verstrichen ist. Sollte die (Haupt-)Berufung im letzteren Fall wirksam zurückgenommen werden, verliert die Anschlussberufung gem. § 524 Abs. 4 ZPO allerdings ihre Wirkung. Dasselbe gilt, wenn die (Haupt-)Berufung verworfen oder durch Beschluss zurückgewiesen wurde (§ 524 Abs. 4 ZPO). In diesem Falle ist dann überhaupt kein Berufungsverfahren mehr anhängig, über das jetzt noch in der Sache zu entscheiden wäre. Um eine Anschlussberufung in diesem Sinne handelt es sich hingegen nicht, wenn auch die gegnerische Partei zwar zeitlich nach der anderen Partei, aber noch innerhalb der Frist für die Berufungseinlegung "eigene" Berufung einlegt. Eine solche Berufung behält ihre Kraft auch nach der Rücknahme der zeitlich zuerst eingelegten Berufung.
Beispiel 1:
Der Kläger A hatte mit seiner Zahlungsklage über 7.500,00 EUR in Höhe von 5.000,00 EUR Erfolg. Das vollständig abgefasste Urteil des LG Hannover ist dem Rechtsanwalt des Klägers am 10.5.2019 zugestellt worden, dem Beklagten am 11.5.2019. Der Rechtsanwalt des Klägers hat am 10.6.2019 (Eingang beim Berufungsgericht) fristgerecht Berufung eingelegt und verfolgt sein Klagebegehren in vollem Umfang weiter. Der Beklagte B hat sich durch beim Berufungsgericht am 20.6.2019 eingegangenen Schriftsatz seines Rechtsanwalts der Berufung angeschlossen und beantragt weiterhin vollständige Klageabweisung.
Bei der Berufung des B handelt es sich um eine Anschlussberufung, da sie für die Einordnung als selbstständige Anschlussberufung nicht fristgerecht eingelegt wurde: Die Berufungsfrist lief am 11.6.2019 um 24.00 Uhr ab. Sollte A seine Berufung zurücknehmen, wäre automatisch auch das Verfahren über die Anschlussberufung gegenstandslos, es müsste hierüber also nicht mehr entschieden werden. Sollte demgegenüber B seine Anschlussberufung zurücknehmen, bliebe das Berufungsverfahren über die Berufung des A weiterhin anhängig.
Beispiel 2:
Sollte ausgehend von dem ersten Beispielfall B bereits am 11.6.2019 (Eingang beim Berufungsgericht), also fristgerecht, Berufung eingelegt haben, handelt es sich um eine selbstständige Berufung des B. Eine spätere Rücknahme der Berufung des A hätte dann keine Auswirkung auf die Berufung des B; die Berufung des B bliebe anhängig und es müsste über sie entschieden werden.