A. Einführung
Rz. 1
Gerichtliche Entscheidungen kann der von der jeweiligen Entscheidung nachteilig Betroffene in vielen Fällen durch Einlegung eines sog. Rechtsbehelfs auf ihre Richtigkeit hin überprüfen lassen. Diejenigen Rechtsbehelfe, die zum einen den Eintritt der Rechtskraft (= endgültige Verbindlichkeit) der Entscheidung bis zu der erfolgten Überprüfung verhindern (sog. Suspensiveffekt) und die zum anderen zu einer Überprüfung durch die nächst höhere Instanz führen (sog. Devolutiveffekt), bezeichnet man als Rechtsmittel. Die Zivilprozessordnung kennt nur drei Rechtsmittel: die Berufung (§§ 511 ff. ZPO), die Revision (§§ 542 ff. ZPO) und die Rechtsbeschwerde (§§ 574 ff. ZPO). Demgegenüber ist beispielsweise der Einspruch gegen ein Versäumnisurteil gem. §§ 338 ff. ZPO kein Rechtsmittel, da das Verfahren nach dem Einspruch von dem Gericht, das das Versäumnisurteil erlassen hat, fortgesetzt wird (kein Devolutiveffekt). Auch die beiden Fälle der Wiederaufnahme des Verfahrens, die die ZPO kennt, nämlich die Nichtigkeitsklage gem. § 579 ZPO und die Restitutionsklage gem. § 580 sind keine Rechtsmittel, da es jeweils am Suspensiveffekt fehlt.
B. Die einzelnen Rechtsmittel
I. Berufung (§§ 511 ff. ZPO)
Rz. 2
Das Rechtsmittel der Berufung ist gem. § 511 ZPO statthaft gegen die Endurteile erster Instanz, also gegen Urteile des Amts- und die erstinstanzlichen Urteile des Landgerichts.
1. Berufungssumme
Rz. 3
Gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist eine Berufung nur bei Erreichen eines bestimmten Beschwerdewertes zulässig, nämlich nur, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes, die sog. Beschwer, von 600,00 EUR übersteigt (zur Zulassungsberufung nachfolgend). Hierdurch soll unter anderem verhindert werden, dass bei wirtschaftlich nur geringfügig gewünschter Abänderung der Entscheidung erster Instanz die Berufungsinstanz eröffnet wird. Die Beschwer errechnet sich beim Kläger danach, inwieweit das Gericht erster Instanz von seinem (in der Berufung weiterverfolgten) Antrag in der Hauptsache (also ohne Nebenforderungen) nachteilig abgewichen ist, beim Beklagten nach der Verurteilungssumme in der Hauptsache (ebenfalls ohne Nebenforderungen).
Beispiel:
A hat B auf Zahlung von 2.500,00 EUR verklagt. Das Amtsgericht hat B zu 500,00 EUR verurteilt, im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Die Beschwer des A, der das Urteil insgesamt mit der Berufung anfechten möchte, beträgt 2.000,00 EUR: 2.500,00 EUR (Antrag 1. Instanz) abzüglich 500,00 EUR (Erfolg 1. Instanz). A könnte also zulässig Berufung einlegen.
Die Beschwer des B besteht demgegenüber nur in der Verurteilungshöhe von 500,00 EUR. Eine von ihm eingelegte Berufung wäre demzufolge unzulässig und würde gem. § 522 Abs. 1 S. 2 ZPO vom Berufungsgericht als unzulässig verworfen. B verbliebe zur Weiterverfolgung seines Antrags auf vollständige Klageabweisung nur die Möglichkeit einer unselbstständigen Anschlussberufung (dazu unten) an die Berufung des A.
2. Zulassungsberufung
Rz. 4
Wenn der gem. § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erforderliche Beschwerdewert von 600,00 EUR nicht erreicht ist, kann das Gericht des ersten Rechtszugs in seinem Urteil die Berufung trotzdem gem. § 511 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. Abs. 4 ZPO zulassen, wenn
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die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder |
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die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. |
Für die Beurteilung, ob etwas grundsätzliche Bedeutung hat, kommt es natürlich nicht auf die subjektive Betrachtungsweise der Parteien, sondern auf eine objektive Bewertung an.
Die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts über die Zulassung der Berufung ist für das Berufungsgericht gem. § 511 Abs. 4 Satz 2 ZPO bindend.
3. Berufungsfrist und Berufungsschrift
Rz. 5
Die Berufung muss gem. § 517 ZPO binnen einer Notfrist (vgl. näher zur Erläuterung des Begriffs der Notfrist und zur Fristberechnung im Kapitel Fristenkontrolle) von einem Monat ab Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils eingelegt werden. Sollte das Urteil aufgrund eines Versehens einer Partei nicht zugestellt werden, beginnt die Monatsfrist spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung des Urteils. Deswegen ist zu empfehlen, sich vorsorglich für den Fall der Nichtzustellung auch eine 5 monatige Frist mit zusätzlicher Vorfrist von mindestens zwei Wochen ab der Verkündung des Urteils zu notieren und mit dem Zusatz (Urteil bereits zugestellt (?), ansonsten Fristbeginn Berufungseinlegung!) zu versehen. Die Einlegung der Berufung erfolgt gem. § 519 ZPO mittels Einreichung einer Berufungsschrift beim Berufungsgericht, also bei dem Gericht, das über die Berufung zu entscheiden hat. Die Berufungsschrift muss von einem Rechtsanwalt unterschrieben werden.
Rz. 6
Muster 1: Berufungsschrift
Muster: Berufungsschrift
Rechtsanwalt Haupt |
Hannover, den 16.5.2019 |
An das
Landgericht Hannover
Volgersweg
30175 Hannover
Berufung
In Sachen
Klaus Müller, Podbielskistr. 50, 30177 Hannover
– Kläger, Berufungskläger –
Prozessbevollmächtigter: RA Haupt, Lessingstr. 10, 30123 Hannover gegen
Franz Schmidt, Leipziger Straße 94, 30324 Hannover
– Beklagter und Berufungsbeklagter –
Prozessbevollmächtigt...