Dr. K. Jan Schiffer, Christoph Schürmann
Rz. 196
Wie bereits eingangs angesprochen, ist das Pflichtteilsrecht bei Stiftungen in der Praxis generell ein besonderes Thema. Nicht eben selten wird der Berater in Sachen Stiftungen danach gefragt, ob durch eine Stiftung Pflichtteilsansprüche (Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche) vermieden werden können, etwa indem man eine Stiftung als Alleinerbin einsetzt.
Rz. 197
Die Antwort auf diese Frage war ursprünglich umstritten. So wurde etwa angenommen, bei Familienstiftungen stünde den enterbten gesetzlichen Erben kein Pflichtteilsrecht zu, wenn sie durch die Stiftung begünstigt seien und die zu erwartenden Zahlungen der Stiftung in angemessener Zeit die Summe des Pflichtteils erreichten. Dem kann jedoch ersichtlich nicht gefolgt werden, hängen doch die Leistungen der Stiftung erst noch von einer Entscheidung des Stiftungsvorstands ab. Diese Leistungen sind deshalb grundsätzlich zunächst nur als Erwartung einzustufen und eben nicht als ein (Pflichtteils-)Anspruch. Zudem erscheint das geforderte Merkmal "angemessener Zeitraum" als zu unkonkret, um eine praktikable Abgrenzung zu ermöglichen. Die völlig h.M. bejaht denn auch in solchen Fällen Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche der enterbten Erben.
Rz. 198
Gleichwohl hatte im Jahr 2002 das OLG Dresden in einem besonderen Fall (Dresdner Frauenkirche) einen Anspruch aus Pflichtteilsrecht gegen eine gemeinnützige Stiftung verneint und angenommen, der Erblasser habe der Stiftung nichts i.S.d. §§ 2325, 2329 BGB geschenkt, sondern ihr nur Durchgangsvermögen treuhänderisch gebunden zugewandt, welches die Stiftung wirtschaftlich nicht habe bereichern können.
Rz. 199
Dem (und der damit kurzzeitig entstandenen Verwirrung) ist der BGH, der h.M. folgend, unter Hinweis insb. auf den Zweck der Pflichtteils(ergänzungs)bestimmungen ausdrücklich entgegengetreten. Die §§ 2325, 2329 BGB sollen eine Aushöhlung des Pflichtteilsrechts durch lebzeitige Rechtsgeschäfte des Erblassers verhindern. Auch wenn der Erblasser mit seiner lebzeitigen Verfügung gemeinnützige ideelle Zwecke verfolgt, kann dies keine andere Beurteilung rechtfertigen. Aus Sicht des Pflichtteilsberechtigten ist der Erfolg einer Schenkung und einer Spende zu Stiftungszwecken identisch. Beides ist im Ergebnis nichts anderes als der Versuch, auf diese Weise einen erheblichen Teil des Nachlassvermögens zum Nachteil des Pflichtteilsberechtigten an einen anderen weiterzuleiten. Dass im Einzelfall die Motive durchaus anerkennenswert sein mögen, ist für die damit einhergehende Pflichtteilsverkürzung ohne Belang.