a) Umfang der Obliegenheit
Rz. 77
Der Versicherer hat ein legitimes Interesse an der vollständigen Aufklärung eines von ihm zu regulierenden Unfalls. Deshalb hat der Versicherungsnehmer nicht nur eine Aufklärungspflicht, sondern er muss alles unterlassen, was die Aufklärung erschweren könnte. Somit führt eine Unfallflucht gem. § 142 Abs. 1 StGB (nicht jedoch eine solche nach Abs. 2, OLG Dresden zfs 2019, 93; OLG Celle zfs 2019, 393) als vorsätzliche Obliegenheitsverletzung grundsätzlich selbst dann zur vollen Leistungsfreiheit, wenn der Schaden lediglich an einer Leitplanke entstanden ist (LG Krefeld NZV 2014, 40); nicht aber, wenn lediglich ein belangloser Schaden entstanden ist (OLG Hamm zfs 2016, 573), wobei der Versicherer den Eintritt eines erheblichen Fremdschadens i.S.d. § 142 Abs. 1 StGB zu beweisen hat (OLG Celle zfs 2019, 393).
Eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit kann auch bei einem nicht ohne weiteres erkennbaren Fremdschaden (wie hier an einem Baum) kaum bejaht werden (LG Schweinfurt zfs 2018, 32).
Rz. 78
Nachdem im Jahr 2008 eine entsprechende Obliegenheit ausdrücklich in die AKB (E.1.3 S. 2 Hs. 2 AKB 2008) aufgenommen wurde, ist streitig geworden, ob sich der Straftatbestand des § 142 StGB noch mit den haftpflicht- bzw. kaskorechtlichen Aufklärungspflichten deckt.
Bis zu diesem Zeitpunkt war nämlich nach Auffassung des BGH der versicherungsrechtliche Pflichtenkreis auch ohne ausdrückliche Regelung in der AKB mit dem strafrechtlichen identisch, weshalb in der Unfallflucht als Reflex gleichzeitig auch die Verletzung der Aufklärungspflicht zu sehen war (BGH VersR 1987, 657).
Das hatte - gegen OLG Saarbrücken zfs 1999, 291 - selbst in Fällen eindeutiger Haftungslage und auch dann zu gelten, wenn die Verletzung der Aufklärungspflicht nicht beabsichtigt war (BGH zfs 2000, 68). Nach Aufnahme einer entsprechenden Obliegenheit in die AKB haben Teile der Rechtsprechung und der Literatur hierin eine vom Strafrecht unabhängige und u.U. sogar darüberhinausgehende versicherungsrechtliche Verhaltenspflicht gesehen, was insbesondere auch für Unfälle auf nichtöffentlicher Verkehrsfläche oder ohne Fremdschaden entsprechende Auswirkungen hätte.
Eine solche Erweiterung der Obliegenheit des VN lehnt die herrschende Meinung (OLG Saarbrücken zfs 2016, 211; OLG München r+s 2016, 342; OLG Hamm DAR 2017, 36; OLG Celle zfs 2019, 393) jedoch zu Recht mit der Begründung ab, dass es sich bei der entsprechenden Regelung zwar um eine versicherungsvertraglich eigenständige Obliegenheit handele, ihr Inhalt und ihre Grenzen jedoch mit denen des § 142 Abs. 1 S. 2 StGB übereinstimmten. Andernfalls müsste der VN nach einem Unfall entgegen dem allgemeinen Rechtsbewusstsein entweder ewig an der Unfallstelle warten oder von sich aus die Polizei rufen. Um diese Ungereimtheiten zu beseitigen, ist zwischenzeitlich die AKB dem strafrechtlichen Wortlaut angeglichen worden, die AKB 2015 stellen jetzt nicht mehr auf die erforderlichen, sondern nur noch auf die gesetzlichen Feststellungen ab. Allerdings bejaht der BGH nicht in sämtlichen Fällen einen unbedingten Gleichlauf der straf- und der versicherungsrechtlichen Pflichten. So verneint er - unabhängig von der Frage, ob sich der VN nach § 142 StGB strafbar gemacht hat - jetzt eine Obliegenheitsverletzung dann nicht, wenn der VN sich nach dem Unfall erlaubt vom Unfallort entfernt, dann nachträglich nicht unverzügliche Feststellungen ermöglicht hat, er aber den VR noch zu einem Zeitpunkt informiert, indem er durch die Mitteilung an den Geschädigten selbst eine Strafbarkeit nach § 142 Abs. 2 StGB noch hätte abwenden können (BGH zfs 2013, 91).
Die Oberlandesgerichte Dresden (zfs 2019, 93) und Celle (zfs 2019, 393) sehen darüber hinaus keine dem strafrechtlichen Gebot nach § 142 Abs. 2 StGB entsprechende versicherungsvertragliche Pflicht, den Versicherer nachträglich unverzüglich benachrichtigen zu müssen, da der Wortlaut der Versicherungsbedingungen die Obliegenheit auf die in § 142 Abs. 1 StGB genannten Pflichten begrenzt. Dies gilt zumindest dann, wenn die AKB zugleich eine Pflicht vorsehen, den Schaden innerhalb einer Woche anzuzeigen.
Achtung: Entfernen vom Unfallort bei leichten Autobahnunfällen
Da gem. § 18 Abs. 3 StVO das Halten auf der Autobahn grundsätzlich verboten ist, liegt bei bloßen Sachschäden (z.B. an Leitplanken) eine Unfallflucht u.U. nicht vor, wenn der Unfallbeteiligte bis zur nächsten erlaubten Anhaltestelle weiterfährt (OLG Celle NZV 2019, 534); da sich der VN dann berechtigt vom Unfallort entfernt hätte, träfe ihn auch keine Pflicht, den Versicherer nachträglich unverzüglich zu informieren.
b) Beweislast
Rz. 79
Den Versicherer trifft nach wie vor die volle Beweislast dafür, dass der Versicherungsnehmer den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 142 StGB erfüllt hat (OLG Zweibrücken VersR 1977, 806; AG Homburg zfs 2006, 631; OLG Celle NZV 2019, 534). Hieran hat auch die Beweislastregel des § 28 Abs. 2...