Rz. 41
War der Fahrer infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage, das Fahrzeug sicher zu führen, liegt eine zur (begrenzten) Leistungsfreiheit des Versicherers führende Obliegenheitsverletzung vor (§ 2b Abs. 1 S. 1 AKB 2008).
Der Wortlaut der versicherungsrechtlichen Vorschrift entspricht der des Strafrechts, so dass zu deren Auslegung auf die strafrechtliche Rechtsprechung zurückgegriffen werden kann (BGH NJW 1992, 119).
Auch im Versicherungsrecht gilt, dass ein Kraftfahrer mit 1,1 ‰ absolut fahruntauglich ist (BGH VersR 1991, 1367; NZV 1992, 27). Aber auch eine relative Fahruntauglichkeit, die bereits bei Blutalkoholwerten ab 0,3‰ gegeben sein kann, wenn weitere Ausfallerscheinungen, die in der Person oder dem Fahrverhalten liegen können, festgestellt werden (BGH DAR 1982, 296; OLG Hamm NZV 2005, 654), ist hier relevant (zur Fahruntüchtigkeit siehe § 37 Rdn 20 ff.).
Rz. 42
Auch nach neuem Recht trifft den Versicherer die volle Beweislast für den objektiven Tatbestand einer Obliegenheitsverletzung (BGH NJW-RR 1996, 981; BGH zfs 2011, 511), was - anders als bei absoluter Fahruntauglichkeit - in Fällen relativer Fahruntauglichkeit im Einzelfall problematisch sein kann:
Der Versicherer kann diesen Beweis nämlich weder mit dem Hinweis auf eine evtl. strafrechtliche Verurteilung, noch mit dem bloßen Hinweis auf die Blutalkoholkonzentration von z.B. 0,9 ‰ erbringen (OLG Köln VersR 1966, 971), er muss vielmehr das Vorliegen weiterer Umstände nachweisen, die die Fahrunsicherheit des Versicherungsnehmers beweisen (OLG Karlsruhe zfs 1993, 161; BGH NJW 1991, 289). Den Beweis kann der Versicherer unter Umständen allerdings mit Hilfe eines Anscheinsbeweises führen, z.B. damit, dass der relativ fahruntaugliche Versicherungsnehmer mit seinem Pkw ohne jeden erkennbaren verkehrsbedingten Grund von der Fahrbahn abgekommen ist (OLG Karlsruhe zfs 2002, 241), wobei dem Versicherer der Anscheinsbeweis selbst bei relativ geringem Alkoholwert (hier 0,65 ‰) gelingen kann (OLG Karlsruhe zfs 2002, 535). Die Tatsache, dass der Gegner den Unfall verschuldet hat, schließt einen zugunsten des Versicherers greifenden Anscheinsbeweis für eine trunkenheitsbedingte Geistes- und Bewusstseinsstörung des Versicherten nicht aus (OLG Saarbrücken zfs 2018, 217).
Rz. 43
Tipp: Entkräftung des Anscheinsbeweises
Diesen Anscheinsbeweis kann der Versicherungsnehmer jedoch dadurch entkräften, dass er eine andere mögliche Ursache für das Schadensereignis darlegt (OLG Saarbrücken zfs 2004, 323).
Rz. 44
Für ein behauptetes fehlendes Verschulden i.S.d. § 827 BGB trägt dagegen der Versicherungsnehmer die volle Darlegungs- und Beweislast (BGH VersR 1986, 1241; zfs 2011, 511).
Die Beweislastverteilung spielt namentlich in Fällen, in denen der Versicherungsnehmer unter Hinweis auf die hohe Alkoholisierung behauptet, unzurechnungsfähig gewesen zu sein, eine Rolle. Aber auch wenn ihm dieser Beweis gelingt, kann der Verschuldensvorwurf an ein der Alkoholfahrt vorausgehendes Verhalten geknüpft werden, nämlich den Vorwurf, dass er nicht schon vor Trinkbeginn entsprechende Sicherungsmaßnahmen getroffen hat (BGH zfs 2011, 511).
Rz. 45
Die Obliegenheitsverletzung hat ein Leistungsverweigerungsrecht des Versicherers zur Folge.
Eine vorsätzliche Trunkenheitsfahrt führt zur Leistungsfreiheit, ansonsten - außer im Falle einfacher Fahrlässigkeit - zu einer Quote, deren Höhe davon abhängt, ob die Fahrlässigkeit näher zum Vorsatz oder eher im Grenzbereich zur einfachen Fahrlässigkeit liegt, wobei im Falle der Verletzung einer Obliegenheit grobe Fahrlässigkeit gesetzlich vermutet wird.
Da in der KH-Versicherung die Leistungsfreiheit auf maximal 5.000 EUR beschränkt ist und darüber hinaus nach zutreffender Auffassung die Quote vom Schadensbetrag und nicht vom gesetzlichen Höchstbetrag in Höhe von 5.000 EUR zu bilden ist, ist die Frage der Quote bei Haftpflichtschäden nur bei relativ geringen Fremdschäden von Bedeutung.
Rz. 46
In der Kaskoversicherung kommt dem Alkoholwert dagegen eine weitaus größere Bedeutung zu. Bei sehr hohen Alkoholwerten wird die grobe Fahrlässigkeit, wenn nicht gar Vorsatz vorliegt, nahe beim bedingten Vorsatz liegen, so dass hier in der Regel von voller Leistungsfreiheit ausgegangen werden muss (BGH DAR 2011, 511; zfs 2012, 212; LG Saarbrücken zfs 2012, 628; OLG Dresden zfs 2018, 276). Das gilt erst recht, wenn der Fahruntüchtige einem Kleintier ausweicht und dabei zu Schaden kommt (LG Saarbrücken zfs 2019, 157).
Achtung: Schuldunfähigkeit
Selbst wenn der VN bei Antritt der Fahrt infolge des Alkoholgenusses schuldunfähig im Sinne des § 827 BGB war, ist von grober Fahrlässigkeit auszugehen, wenn er vor Trinkbeginn keine Vorkehrungen gegen Fahrten im schuldunfähigen Zustand getroffen hat (OLG Köln zfs 2017, 692).
Rz. 47
Für die Fälle absoluter Fahrunsicherheit lässt sich keine an Promillewerten orientierte allgemeine feste Regel aufstellen, sondern es kommt vielmehr immer auf die Umstände des Einzelfalls an.
Rz. ...