Rz. 72
Zu den Folgen der Obliegenheitsverletzungen siehe auch oben, Rdn 18 ff.
1. Anzeigepflicht des Versicherungsfalls
Rz. 73
Die Verletzung der Verpflichtung, den Versicherungsfall unverzüglich anzuzeigen, führt grundsätzlich zur - in der KH-Versicherung auf maximal 5.000 EUR begrenzte (§ 5 Abs. 3 KfzPflVV) - Leistungsfreiheit des Versicherers. Dieser trägt zwar die Beweislast für ein vorsätzliches Verhalten des Versicherungsnehmers, zunächst muss aber der Versicherungsnehmer darlegen, warum er die Anzeigepflicht nicht rechtzeitig erfüllt hat.
Der dem Versicherungsnehmer nach § 28 Abs. 3 S. 1 VVG offenstehende Kausalitätsgegenbeweis (siehe obenRdn 8) wird ihm zumindest im Kaskorecht nicht gelingen, denn es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die verspätete Anzeige die Aufklärung verhindert, zumindest aber erschwert hat (OLG Karlsruhe VersR 2010, 1307); jedenfalls ist der Kausalitätsgegenbeweis erst erbracht, wenn sicher ist, dass dem VR keine Feststellungsnachteile entstanden sind. Bleibt dies unklar, ist der VN beweisfällig (OLG Köln r+s 2019, 8).
Tipp: Vorsorgliche Schadensmeldung
Auch wenn der VN (und sein Anwalt) davon ausgehen, dass der Unfallgegner voll haftet, sollte er vorsorglich den Schaden seiner Kaskoversicherung melden, um sich im Falle der Inanspruchnahme nicht dem Vorwurf einer Obliegenheitsverletzung aussetzen zu müssen (KG Berlin, r+s 2019, 82).
Rz. 74
Im Haftpflichtrecht ist dagegen die Beweisführung eher möglich, abgesehen davon, dass es dort regelmäßig auch an einem schweren Verschulden fehlen wird.
Zu beachten ist, dass die Nichtabgabe einer Schadensmeldung neben einer Unfallflucht keine eigenständige Sanktion zur Folge hat, da es sich dabei um gleichartige, nach dem Versicherungsfall zu erfüllende Obliegenheiten handelt und die Obliegenheit bereits durch das unberechtigte Entfernen vom Unfallort verletzt ist (siehe Rdn 22).
Rz. 75
Tipp: In KH-Versicherung Anzeigepflicht nicht für Bagatellfälle
Die Nichtanzeige von Bagatellfällen stellt in der KH-Versicherung keine Obliegenheitsverletzung dar (E.2.2 AKB 2008).
2. Nachtrunk
Rz. 76
Ein der Verschleierung des Alkoholwerts dienender Nachtrunk verletzt die Aufklärungspflicht (BGH VersR 1967, 1088; NJW 1976, 371; OLG Saarbrücken zfs 2001, 69; OLG Brandenburg zfs 2004, 528; r+s 2007, 412) und führt zur Leistungsfreiheit, wenn die Blutalkoholkonzentration nicht ohnehin außerhalb des kritischen Bereichs lag und der Nachtrunk somit nicht relevant war (Kausalitätsgegenbeweis) und der Versicherungsnehmer nicht arglistig gehandelt hat. Dafür, dass der Nachtrunk in Verschleierungsabsicht erfolgte, ist der Versicherer beweispflichtig (OLG Karlsruhe DAR 2008, 527).
3. Unfallflucht
a) Umfang der Obliegenheit
Rz. 77
Der Versicherer hat ein legitimes Interesse an der vollständigen Aufklärung eines von ihm zu regulierenden Unfalls. Deshalb hat der Versicherungsnehmer nicht nur eine Aufklärungspflicht, sondern er muss alles unterlassen, was die Aufklärung erschweren könnte. Somit führt eine Unfallflucht gem. § 142 Abs. 1 StGB (nicht jedoch eine solche nach Abs. 2, OLG Dresden zfs 2019, 93; OLG Celle zfs 2019, 393) als vorsätzliche Obliegenheitsverletzung grundsätzlich selbst dann zur vollen Leistungsfreiheit, wenn der Schaden lediglich an einer Leitplanke entstanden ist (LG Krefeld NZV 2014, 40); nicht aber, wenn lediglich ein belangloser Schaden entstanden ist (OLG Hamm zfs 2016, 573), wobei der Versicherer den Eintritt eines erheblichen Fremdschadens i.S.d. § 142 Abs. 1 StGB zu beweisen hat (OLG Celle zfs 2019, 393).
Eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit kann auch bei einem nicht ohne weiteres erkennbaren Fremdschaden (wie hier an einem Baum) kaum bejaht werden (LG Schweinfurt zfs 2018, 32).
Rz. 78
Nachdem im Jahr 2008 eine entsprechende Obliegenheit ausdrücklich in die AKB (E.1.3 S. 2 Hs. 2 AKB 2008) aufgenommen wurde, ist streitig geworden, ob sich der Straftatbestand des § 142 StGB noch mit den haftpflicht- bzw. kaskorechtlichen Aufklärungspflichten deckt.
Bis zu diesem Zeitpunkt war nämlich nach Auffassung des BGH der versicherungsrechtliche Pflichtenkreis auch ohne ausdrückliche Regelung in der AKB mit dem strafrechtlichen identisch, weshalb in der Unfallflucht als Reflex gleichzeitig auch die Verletzung der Aufklärungspflicht zu sehen war (BGH VersR 1987, 657).
Das hatte - gegen OLG Saarbrücken zfs 1999, 291 - selbst in Fällen eindeutiger Haftungslage und auch dann zu gelten, wenn die Verletzung der Aufklärungspflicht nicht beabsichtigt war (BGH zfs 2000, 68). Nach Aufnahme einer entsprechenden Obliegenheit in die AKB haben Teile der Rechtsprechung und der Literatur hierin eine vom Strafrecht unabhängige und u.U. sogar darüberhinausgehende versicherungsrechtliche Verhaltenspflicht gesehen, was insbesondere auch für Unfälle auf nichtöffentlicher Verkehrsfläche oder ohne Fremdschaden entsprechende Auswirkungen hätte.
Eine solche Erweiterung der Obliegenheit des VN lehnt die herrschende Meinung (OLG Saarbrücken zfs 2016, 211; OLG München r+s 2016, 342; OLG Hamm DAR 2017, 36; OLG Celle zfs 2019, 393) jedoch zu Recht mit der Begründung ab, dass ...