Peter Houben, Dr. iur. Martin Schimke
Rz. 870
Für das Sozialversicherungsrecht bildet § 7 Abs. 1 SGB IV die gesetzliche Grundlage zur Abgrenzung, ob ein Mitarbeiter als sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter oder selbstständiger freier Mitarbeiter anzusehen ist.
Die sozialversicherungsrechtliche Abgrenzung, ob es sich um echte Selbstständigkeit oder Scheinselbstständigkeit handelt, erfolgt daher nicht über § 611a BGB, sondern über den Beschäftigtenbegriff in § 7 Abs. 1 SGB IV (s. unten Rdn 881).
Rz. 871
§ 7 SGB IV wurde wiederholt geändert und war Gegenstand intensiver politischer und öffentlicher Auseinandersetzungen. Im Mittelpunkt steht die Frage der Scheinselbstständigkeit. Gemeint ist damit der Fall, dass ein Mitarbeiter zwar formal eine selbstständige Leistung als freier Mitarbeiter aufgrund eines Dienst- oder Werkvertrags erbringt, tatsächlich aber in Wirklichkeit unselbstständige Arbeit in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis leistet.
Rz. 872
Bis zum 31.12.1998 definierte § 7 Abs. 1 SGB die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung als "die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis". Nach Auffassung des BVerfG genügt diese Formulierung dem Bestimmtheitsgrundsatz (vgl. BVerfG v. 20.5.1996 – 1 BvR 21/96, NJW 1996, 2644 = BuW 1996, 643). Arbeitnehmer i.S.d. Sozialversicherungsrechtes ist danach, wer von einem Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Persönliche Abhängigkeit erfordert Eingliederung in den Betrieb und Unterordnung unter das Weisungsrecht des Arbeitgebers in Bezug auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsausführung (vgl. BSG v. 21.4.1993 – 11 RAr 67/92, NJW 1994, 341 = AP Nr. 67 zu § 611 BGB Abhängigkeit).
Rz. 873
Es folgte zum 1.1.1999 das höchst umstrittene "Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte" v. 19.12.1998 (BGBl I, S. 3843). Ausweislich der damaligen Gesetzesbegründung verfolgte der Gesetzgeber damit das Ziel, den Sozialversicherungsträgern die Bekämpfung der "Scheinselbstständigkeit" zu erleichtern. Sog. scheinselbstständige Arbeitnehmer sollten schneller und einfacher als bisher erfasst werden. Dazu war in § 7 Abs. 4 SGB IV a.F. ein Kriterienkatalog eingeführt worden, wonach bei Vorliegen von zwei der vier Kriterien das Bestehen einer Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt vermutet wurde. Unter dem Druck massiver Kritik an diesem Gesetz setzte die Bundesregierung im Jahr 1999 unter Vorsitz des früheren Präsidenten des BAG Prof. Dieterich die Kommission Scheinselbstständigkeit ein, die am 22.9.1999 einen Abschlussbericht erstellte (vgl. NZA 1999, 1260). Auf der Basis dieses Abschlussberichtes ist das sog. "Gesetz zur Förderung der Selbstständigkeit" entstanden (vgl. zum Gesetzentwurf NZA 1999, 1262).
Rz. 874
Überwiegend rückwirkend zum 1.1.1999 ist sodann das "Gesetz zur Förderung der Selbstständigkeit" v. 20.12.1999 (BGBl I 2000, 2) für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung und Abgrenzung zwischen selbstständiger und abhängiger Beschäftigung in Kraft getreten. Insb. wurde ein Anfrageverfahren zur Statusklärung eingeführt.
Rz. 875
Modifikationen erfolgten durch das Zweite Gesetz für moderne Dienstleistungen v. 23.12.2002 (BGBl I, 4621), worin die bisherige Vermutungsregel des § 7 Abs. 4 SGB IV wegfiel und durch eine widerlegbare Vermutungsregelung für selbstständig Tätige mit beantragtem Existenzgründerzuschuss nach § 421l SGB III ersetzt wurde. Ferner wurde § 7 Abs. 4 SGB IV gestrichen. Durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt v. 24.12.2003 (BGBl I, 2954) sowie durch das Gesetz zur Vereinfachung der Verwaltungsverfahren im Sozialrecht (Verwaltungsvereinfachungsgesetz) v. 21.3.2005 (BGBl I, 818) wurde das bisherige Verfahren der Statusklärung von Erwerbstätigen geändert. Für geschäftsführende Gesellschafter einer GmbH sowie mitarbeitende Ehegatten und Lebenspartner ist bei Beschäftigungsaufnahme ein obligatorisches Statusfeststellungsverfahren eingeführt worden. Mit dem Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze v. 19.12.2007 (BGBl I, 3024) wurde das obligatorische Statusfeststellungsverfahren mit Wirkung zum 1.1.2008 auf mitarbeitende Abkömmlinge des Arbeitgebers ausgedehnt. Weiterhin wurden die §§ 7b (Beitragsrückstände) und 7c SGB IV (Übergangsregelung für Beitragsrückstände) mit der Begründung gestrichen, dass diese nur der Abwicklung von Übergangsfällen bei der Einführung der Neuregelung des Statusfeststellungsverfahrens dienten. Seit dem 1.1.2009 regelt § 7b SGB IV Wertguthabenvereinbarungen und § 7c SGB IV Verwendung von Wertguthaben.
Rz. 876
Für die Praxis sind die jeweils aktuellen Rundschreiben der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger von zentraler Bedeutung. Diese decken sich allerdings nicht immer mit der Rechtsprechung des BSG. Dies ist nicht unproblematisch, da dadurch unterschiedliche Entscheidungen erst nach zum Teil jahrelangen Verfahren erfolgen. Das maßgebliche aktuelle Rundschreiben ist vom 1.4.2022 mit der Bezeichnung "Statusfeststellung von Erwerbstät...