Rz. 94

Nach § 305 Abs. 2 BGB werden AGB nur dann Vertragsbestandteil, wenn der Verwender auf sie hinweist und ihre Kenntnisnahme ermöglicht. Diese Bestimmung ist nach § 310 Abs. 4 S. 2 Hs. 2 BGB auf Arbeitsverträge nicht anzuwenden, was vom Gesetzgeber mit dem Hinweis auf § 2 Abs. 1 S. 2 NachwG begründet wurde (vgl. BT-Drucks 14/6857, 54). Zu überzeugen vermag dies nicht, da die Regelungen des NachwG keine Aussagen zum Zustandekommen des Vertrages enthalten, sondern einen wirksam abgeschlossenen Arbeitsvertrag bereits voraussetzen, dessen wesentliche Bedingungen sodann ggü. dem Arbeitnehmer mit lediglich deklaratorischer Wirkung nachzuweisen sind. Gleichwohl führt an der Unanwendbarkeit des § 305 Abs. 2 BGB angesichts der eindeutigen Gesetzesregelung kein Weg vorbei. Daraus folgt, dass die Einbeziehung allgemeiner Vertragsbedingungen in Arbeitsverträge den allgemeinen rechtsgeschäftlichen Regeln folgt und somit keiner besonderen Form bedarf. Eine Grenze bildet allerdings auch hier § 305c BGB, wonach überraschende Klauseln nicht Vertragsbestandteil werden. Die Regelung in § 305c Abs. 1 BGB entspricht wörtlich der Vorgängerregelung in § 3 AGBG. Zudem wird das Verbot überraschender Klauseln als allgemeiner Grundgedanke aus § 242 BGB angesehen, weshalb dieser Rechtsgrundsatz im Arbeitsrecht bereits bislang und trotz der bisherigen Bereichsausnahme in § 23 Abs. 1 AGBG angewendet wurde (vgl. BAG v. 29.11.1995, NZA 1996, 702, 703). Maßgeblich für die Beurteilung, ob eine Klausel überraschend ist, ist nicht das Verständnis des konkreten Arbeitnehmers. Es kommt vielmehr darauf an, wie der Vertrag bzw. eine einzelne Vertragsklausel nach der "nicht juristischen Laiensphäre" zu verstehen ist (vgl. BAG v. 23.3.2017 – 6 AZR 705/15).

 

Rz. 95

Überraschend ist danach eine Klausel, der ein "Überrumpelungs- oder Übertölpelungseffekt" innewohnt. Das Unterbringen einer Klausel an unerwarteter Stelle im Text kann sie als Überraschungsklausel erscheinen lassen (BAG v. 31.8.2005 – 5 AZR 545/04, NZA 2006, 324). Das Überraschungsmoment ist dabei umso eher zu bejahen, je belastender die Bestimmung ist. Daher wird z.B. eine vertragliche Ausschlussfrist nicht Vertragsinhalt, wenn sie der Verwender ohne besonderen Hinweis und ohne drucktechnische Hervorhebung unter falscher oder missverständlicher Überschrift – in der früheren Praxis häufig im Zusammenhang mit "Schlussbestimmungen" – einordnet (BAG v. 29.11.1995 – 5 AZR 447/94, NZA 1996, 702; ausführlich auch Gotthardt, ZIP 2002, 277, 280). Das Verbot überraschender Klauseln kann auch in Bezug auf Verweisungsklauseln zum Tragen kommen, wobei in Arbeitsverträgen insb. Verweisungen auf kollektive Regelwerke wie Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen relevant sind. Dynamische Verweisungen auf einschlägige Tarifverträge sind verbreitet und werden vom BAG nicht als überraschend angesehen (vgl. BAG v. 24.9.2008 – 6 AZR 76/07). Dies gilt auch als Gestaltungsinstrument sowohl bei Inbezugnahme eines gesamten Tarifwerkes als auch bei dem Verweis auf einzelne Regelungen aus einem bestimmten Tarifvertrag (vgl. BAG v. 23.3.2011, AP Nr. 88 zu § 1 TVG Bezugnahme auf TV). Auch die einzelvertragliche Inbezugnahme von tarifvertraglichen Ausschlussfristen sieht das BAG als nicht überraschend an (BAG v. 11.1.1995, ZTR 1995, 277, 278). Überraschend sein kann die Inbezugnahme eines fach- oder ortsfremden Tarifvertrags (vgl. Gotthard, ZIP 2002, 277, 280 m.w.N). Zum Teil wird diese Problematik im Rahmen der Inhaltskontrolle geprüft, da in diesen Fällen jedenfalls keine Vermutung dafürspricht, dass für das Arbeitsverhältnis angemessene Arbeitsbedingungen vereinbart sind (vgl. Schaub, ArbRHB § 35 Rn 21).

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