Peter Houben, Dr. iur. Martin Schimke
Rz. 947
Mit der Neuschaffung des Begriffes des "arbeitnehmerähnlichen Selbstständigen" zum 1.1.1999 (erstmalig eingeführt mit § 2 Nr. 9 SGB VI i.d.F. des "Gesetzes zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte" v. 19.12.1998, BGBl I, 3843, sodann im Wortlaut geändert und modifiziert in den Voraussetzungen durch das "Gesetz zur Förderung der Selbstständigkeit" v. 20.12.1999, BGBl I 2000, 2 in den Sprachgebrauch als selbstständig Tätige mit nur einem Auftraggeber) hat der Gesetzgeber gezielt den Kreis der rentenversicherungspflichtigen Personen in erheblicher Weise ausgeweitet. Rechtspolitisch sollen weitere bisher eindeutig selbstständige Personen, insb. auch freie Mitarbeiter, in die gesetzliche Sozialversicherung einbezogen werden (vgl. zu der zuvor schon bestehenden Rentenversicherungspflicht für bestimmte Berufsgruppen selbstständig Tätiger: Lehrer und Erzieher unter bestimmten Voraussetzungen gem. § 2 S. 1 Nr. 1 SGB VI, bestimmte Pflegepersonen gem. § 2 S. 1 Nr. 2 SGB VI, Hebammen und Entbindungspfleger gem. § 2 S. 1 Nr. 3 SGB VI, soweit die vorgenannten Berufsgruppen nach Nr. 1–3 nicht wirksam gem. § 231 Abs. 6 SGB VI aufgrund eines bis zum 30.9.2001 zu stellenden Antrags von der Rentenversicherungspflicht befreit sind; Seelotsen, Künstler und Publizisten, Hausgewerbetreibende, Küstenschiffer und Küstenfischer, Handwerker (vgl. im Einzelnen die Voraussetzungen des § 2 S. 1 Nr. 1–8 SGB VI sowie unten Rdn 949).
Rz. 948
Während der Gesetzestext des § 2 Nr. 9 SGB VI a.F. zunächst ausdrücklich den Begriff "arbeitnehmerähnlicher Selbstständiger" nannte, ist dies in § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI i.d.F. des "Gesetzes zur Förderung der Selbstständigkeit" v. 20.12.1999, BGBl. I 2000, S. 2 ff.) nicht mehr enthalten. Es sollte damit dem Umstand Rechnung getragen werden, dass viele Selbstständige, die durch das Korrekturgesetz rentenversicherungspflichtig wurden, diese Bezeichnung als abwertend empfanden (vgl. Gaul/Wisskirchen, DB 1999, 2466, 2470). Das Gesetz zählt seitdem diese Personen ausweislich der Überschrift des § 2 SGB VI zu den "Selbstständig Tätigen". Am rentenversicherungsrechtlichen Tatbestand als solchem für diesen Personenkreis hat sich dadurch jedoch nichts geändert. Die Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger bezeichnen die Personen, die die Voraussetzungen des § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI erfüllen, als "Selbstständig Tätige mit einem Auftraggeber" (vgl. 5/6 Prinzip aller Betriebseinnahmen allein aus der Tätigkeit für einen Auftraggeber im Erläuterungsformular VOO21, S.7 i.d.F. v. 21.9.2022 der Deutsche Rentenversicherung Bund, www.deutsche-rentenversicherung-bund.de).
a) Voraussetzungen der Rentenversicherungspflicht
Rz. 949
Nach § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI sind versicherungspflichtig (solche) selbstständig tätige Personen, die
a) |
im Zusammenhang mit ihrer selbstständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen und |
b) |
auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind; bei Gesellschaftern gelten als Auftraggeber die Auftraggeber der Gesellschaft. |
Rz. 950
Zu den die Rentenversicherungspflicht des Selbstständigen ausschließenden versicherungspflichtigen Arbeitnehmern i.S.d. § 2 S. 1 Nr. 9a SGB VI gehören auch Personen, die berufliche Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen im Rahmen beruflicher Bildung erwerben, § 2 S. 2 Nr. 1 SGB VI (Auszubildende). Hierzu zählen jedoch nicht geringfügig Beschäftigte, selbst wenn sie in ihrer geringfügigen Beschäftigung versicherungspflichtig sind, § 2 S. 2 Nr. 2 SGB VI (bei Verzicht auf die Rentenversicherungsfreiheit oder bei Versicherungspflicht infolge Zusammenrechnung). Als Arbeitnehmer im Sinne von § 2 S. 1 Nr. 9 gelten für Gesellschafter auch die Arbeitnehmer der Gesellschaft, § 2 S. 2 Nr. 3 SGB VI.
Rz. 951
Das BSG sieht als kennzeichnend für den Personenkreis der Selbstständig Tätigen nicht die Zugehörigkeit zu bestimmten Berufsgruppen, sondern vielmehr typische Tätigkeitsmerkmale an. Wer ohne versicherungspflichtigen Arbeitnehmer selbstständig tätig wird, sei typischerweise nicht in der Lage, so erhebliche Verdienste zu erzielen, dass er sich außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung absichern könne, und damit nach seiner wirtschaftlichen Lage sozial schutzbedürftig sei (vgl. dem BSG zustimmend: LSG Baden-Württemberg v. 11.10.2021 – L 11 R 399/20, juris Rn 43; BSG v. 23.4.2015 – B 5 RE 21/14 R, juris). Die weitere Voraussetzung der Tätigkeit nur für einen Auftraggeber sei in gleichem Maße aussagekräftig. Sie indiziere eine wirtschaftliche Abhängigkeit und damit ebenfalls typisierend soziale Schutzbedürftigkeit. Auf eine konkrete wirtschaftliche Schutzbedürftigkeit komme es nicht an (vgl. BSG v. 23.4.2015 – B 5 RE 21/14 R, juris).
Rz. 952
Wer als Auftraggeber anzusehen ist, ergibt sich – mangels eines eindeutigen Wortsinns – aus der Gesetzgebungsgeschichte. Der Begriff des Auftraggebers erfasst nach der Rechtsprechung jede natürliche oder juristische Person oder Personenmehrheit, die im Wege eines Auftrags oder in sonstiger Weise ...