Peter Houben, Dr. iur. Martin Schimke
Rz. 715
Zunehmend besteht die Tendenz, Vorstandsmitglieder für Managementfehler in Regress zu nehmen. Jährlich werden 5.500 neue Schadensfälle gemeldet (vgl. Otte, VW 11/2016, 34). Vorstandsmitglieder, die ihre Pflichten verletzen, sind gem. § 93 Abs. 2 AktG der Gesellschaft zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet. Der BGH hat in einer Entscheidung Stellung zur Auswirkung der Ressortaufteilung im Vorstand auf die Haftung der einzelnen Vorstandsmitglieder bezogen und Voraussetzungen für eine wirksame Ressortaufteilung aufgestellt (vgl. BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, juris, mit kritischer Anmerkung von Hoffmann-Becking, NZG 2021, 93 ff. zur haftungsrechtlichen Verantwortung des nicht ressortzuständigen Vorstandsmitglieds für Vorgänge im Ressort des Kollegen – Reduzierung auf eine Überwachungs- und Kontrollpflicht). Ist str., ob das Vorstandsmitglied die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt hat, trifft es die Beweislast. Allerdings liegt gem. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG eine Pflichtverletzung nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln (sog. Business Judgement Rule). Ein entsprechendes vorausschauendes Risikomanagement erscheint dazu unverzichtbar (vgl. Gleißner/Stein/Wiedemann, DB 2021, 1485; Freund, NZG 2021, 579).
Rz. 716
Die Haftung der Vorstandmitglieder ist persönlich, nicht vertraglich einschränkbar und grds. unbeschränkt, während die Praxisrelevanz, dass es tatsächlich zu einer Inanspruchnahme kommt, steigt. Auch werden die Anforderungen an die zu beachtende Sorgfalt bei z.T. immer komplexeren Sachverhalten nicht geringer, sodass eine hohe Haftung des Vorstandsmitgliedes bis zur Vermögenslosigkeit in Rede stehen kann. Daran hat auch die Gesellschaft kein Interesse, wenn sie im Fall des Schadensersatzes den Schaden nicht ersetzt bekommt (vgl. zur Enthaftung des Vorstands durch die sog. "Fairness Opinion" Follert/Gleißner, DB 2022, 1145; zu haftungsbezogenen Regelungen im Vorstandsanstellungsvertrag Stephan, Der Aufsichtsrat 2015, 172; zu Haftungsvereinbarungen mit Höchstgrenzen Grunewald, AG 2013, 813 ff.).
Rz. 717
Zur Lösung empfiehlt sich der Abschluss einer angemessenen Vermögensschadens-Haftpflichtversicherung (vgl. Freund, NZG 2021, 579, 584) durch die Gesellschaft zugunsten der Vorstandsmitglieder, in der Praxis "Directors and Officers Liability Insurance" oder "D & O-Versicherung" genannt, in der gemessen an den individuellen Risikoverhältnissen der Vorstandstätigkeit und der Unternehmenstätigkeit entsprechende Deckungssummen festgelegt werden (vgl. zu den Tücken der D & O-Versicherung im D&O-Schadenfall, Fassbasch/Wettich, BOARD 2016, 241; vgl. ferner grds. Franz, DB 2011, 1961 ff. (Teil 1) und DB 2011, 2019 ff. (Teil 2). Schließt die Gesellschaft eine Versicherung zur Absicherung eines Vorstandsmitgliedes gegen Risiken aus dessen beruflicher Tätigkeit für die Gesellschaft ab, ist nach dem durch das VorstAG zum 5.8.2009 neu eingeführten § 93 Abs. 2 S. 3 AktG (mit Übergangsvorschrift zum 1.10.2010) ein Selbstbehalt von mindestens 10 % des Schadens bis mindestens zur Höhe des Eineinhalbfachen der festen jährlichen Vergütung des Vorstandsmitgliedes vorzusehen.
Rz. 718
Zu beachten ist, dass im Fall einer Generalbereinigung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat quasi als "dritte Partei" die Versicherung einzubeziehen ist (vgl. zur Generalbereinigung durch Abschluss einer Aufhebungsvereinbarung, oben Rdn 697, ausführlich unten § 27).