Peter Houben, Dr. iur. Martin Schimke
Rz. 814
Am häufigsten werden die arbeitsrechtlichen Konsequenzen sichtbar, wenn ein möglicherweise fälschlich als freier Mitarbeiter oder als Solo-Selbstständiger oder ähnlich bezeichneter Mitarbeiter sich ggü. dem Auftraggeber/Arbeitgeber auf Schutzrechte beruft, die nur einem Arbeitnehmer zustehen. Wichtigster Fall ist die Kündigung, wenn das Arbeitsverhältnis zu einem solchen Mitarbeiter ohne Vorliegen eines Kündigungsgrundes nach § 1 KSchG gekündigt wird (vgl. BAG v. 30.11.2021 – 9 AZR 145/21, juris Rn 28; BAG v. 21.5.2019 – 9 AZR 295/18, juris Rn 10 Kündigungsschutzklage). Eine solche Kündigung kann von dem Mitarbeiter mit Erfolg beim ArbG angegriffen werden, wenn nicht die Kündigung aus anderen Gründen zu Recht ausgesprochen wurde. In dem Kündigungsschutzverfahren hat das Gericht inzident zu prüfen, ob das Rechtsverhältnis der Parteien zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist. Gegenstand einer Kündigungsschutzklage nach § 4 S. 1 KSchG ist das Begehren festzustellen, dass "das Arbeitsverhältnis" durch die konkrete, mit der Klage angegriffene Kündigung zu dem darin vorgesehenen Termin nicht aufgelöst ist. Mit der Rechtskraft des der Klage stattgebenden Urteils steht deshalb regelmäßig zugleich fest, dass jedenfalls bei Zugang der Kündigung ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestanden hat, dass nicht zuvor durch andere Ereignisse aufgelöst wurde (vgl. BAG v. 30.11.2021 – 9 AZR 145/21, juris Rn 28; BAG v. 1.12.2020 – 9 AZR 102/20, juris Rn 27).
In Betrieben, in denen ein Betriebsrat existiert, wird die Kündigung regelmäßig bereits wegen Verstoßes gegen die Anhörungspflicht gem. § 102 BetrVG unwirksam sein. Denn die Einstufung als freier Mitarbeiter führt zwangsläufig dazu, dass die Anhörung des Betriebsrats vor Ausspruch einer Kündigung als nicht notwendig angesehen wird. Ferner gelten im Arbeitsverhältnis in der Regel deutlich längere Kündigungsfristen gemäß § 622 BGB. Ebenso praxisrelevant ist, dass ein Mitarbeiter eine allgemeine Feststellungsklage i.S.d. § 256 Abs. 1 ZPO erhebt, indem er gerichtlich geklärt wissen will, dass zwischen den Parteien ab einem bestimmten Zeitpunkt ein Arbeitsverhältnis besteht (vgl. BAG v. 25.8.2020 – 9 AZR 373/19, juris Rn 12 ff. Feststellungsklage). Im Fall eines Betriebsüberganges steht dem Arbeitnehmer das Widerspruchsrecht gem. § 613a Abs. 6 BGB zu, während für freie Mitarbeiter § 613a BGB keine Anwendung findet (vgl. BAG v. 13.2.2003 – 8 AZR 59/02, NZA 2003, 854 = NJW 2003, 2930). Ebenso können das Interesse einer schwangeren Mitarbeiterin an Leistungen des Arbeitgebers nach dem MuSchG oder von Mitarbeitern nach Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall oder dem Mindestlohngesetz (MiLoG) oder Urlaubs(abgeltungs)ansprüche sowie zahlreiche weitere Gründe, wie die Anwendung des ArbZG, dazu führen, dass sog. "Freie Mitarbeiter" oder "Werk- oder Subunternehmer" ihren Arbeitnehmer-Status arbeitsgerichtlich überprüfen lassen. Die weitreichende Folge ist, dass dem Mitarbeiter im Fall des Obsiegens alle entsprechenden Arbeitnehmerrechte und -schutzvorschriften zugutekommen (vgl. Ziegelmeier, GuP 2022, 177, 183; Gaul/Hahne, BB 2016, 58; LAG Hamm v. 5.12.1989, DB 1990, 2027; LAG Hamm v. 13.10.1989, DB 1990, 2028; Worzalla, BuW 1996, 149; Kunz/Kunz, DB 1993, 326, 328).
Rz. 815
Für den Arbeitgeber ist zu beachten, dass die Veränderung des Status des Freien Mitarbeiters zum Arbeitnehmer ggf. zu einem Überschreiten der Schwellenwerte, bspw. bei § 17 KSchG (Massenentlassung) bzw. § 23 KSchG (Kleinbetriebsklausel) führen kann (vgl. ferner BAG v. 24.1.2013 – 2 AZR 140/12, wonach auch Leiharbeitnehmer bei der Bestimmung der Betriebsgröße i.S.v. § 23 Abs. 1 S. 3 KSchG zu berücksichtigen sind, wenn ihr Einsatz auf einem "in der Regel" vorhanden Personalbedarf beruht). Nicht nur der betroffene "Freie Mitarbeiter", sondern alle Mitarbeiter des Betriebes unterfallen bei Überschreiten des Schwellenwertes gem. § 23 KSchG dem Kündigungsschutz gem. § 1 KSchG.