Peter Houben, Dr. iur. Martin Schimke
Rz. 701
Fraglich ist, ob das abberufene Vorstandsmitglied verpflichtet ist, trotz Abberufung auf Wunsch der AG eine andere zumutbare Tätigkeit bis zum Vertragsende auf Verlangen der AG auszuüben, wenn der Anstellungsvertrag dazu keine Regelung enthält. Dies ist abzulehnen. Nach der älteren Rspr. des BGH soll es möglich sein, dass ein Sachverhalt für die AG einen wichtigen Grund für den Widerruf der Bestellung bildet, gleichwohl aber das abberufene Vorstandsmitglied gehalten sein kann, sich mit dem Angebot einer angemessenen anderen Beschäftigung zwecks Vermeidung einer fristlosen Kündigung zufrieden zu geben (vgl. BGH v. 14.7.1966 – II ZR 212/64, DB 1966, 1306 = AG 1966, 366: selbst verschuldete Abberufung eines Vorstandsmitglieds; vgl. ferner BGH v. 9.2.1978 – II ZR 189/76, DB 1978, 878: Amtsniederlegung eines GmbH-Geschäftsführers wegen Verschuldens der Gesellschaft; vgl. ferner BGH v. 28.10.2002 – II ZR 146/02, DB 2002, 2705 = NJW 2003, 351und Fonk, NZG 1998, 404, 410; sowie zu der vergleichbaren Situation beim GmbH-Geschäftsführer oben Rdn 304). Nach der Rspr. des BAG v. die auf die Rechtsprechung des BGH Bezug nimmt, ist im Einzelfall auf die Zumutbarkeit einer angebotenen Ersatztätigkeit abzustellen (vgl. BAG v. 8.8.2002 – 8 AZR 574/01, NZA 2002, 1324 = DB 2002, 2273). Der BGH hat den Anspruch des Geschäftsführers einer GmbH, ihm nach seiner Abberufung eine Beschäftigung in einer vergleichbaren leitenden Funktion zuzugestehen, verweigert (vgl. BGH v. 11.10.2010 – II ZR 266/08, DB 2011, 49 = NJW 2011, 920 Geschäftsführer Bundeskunsthalle; Goette, DStR 2011, 229 [BGH v. 11.10.2010 – II ZR 266/08]; Lunk/Rodenbusch, NZA 2011, 497; Dahlbender, GmbH-StB 2011, 90; Ege, BB 2011, 335). Dies muss dann auch umgekehrt gelten, auch wenn der BGH dies in der Entscheidung (noch) offengelassen hat. Beschäftigungsanspruch und Beschäftigungspflicht korrelieren und können nicht unterschiedlich behandelt werden. Ferner gibt es keinen entscheidenden Grund, einen Vorstand anders als einen Geschäftsführer zu behandeln. Danach besteht grds. keine Pflicht für den abberufenen Vorstand, andere Tätigkeiten als die eines Vorstands erfüllen zu müssen.
Rz. 702
Soweit trotz dieser aktuellen Rspr. des BGH im Einzelfall noch Restzweifel bestehen sollten, kann m.E. das Kriterium der Angemessenheit/Zumutbarkeit einer anderen Tätigkeit nur in sehr eng begrenzten Ausnahmefällen gegeben sein, da das Vorstandsmitglied nach wohl ganz überwiegender Meinung nur Dienste als Organ und keine andere Tätigkeit schuldet (vgl. ebenso Kothe-Heggemann/Schelp, GmbHR 2011, 75; vgl. ferner Diller, NZG 2011, 254; Bauer, DB 1992, 1413, 1416). Zudem liegt der dem BGH seinerzeit zur Entscheidung vorliegende Einzelfall vom 14.7.1966 lange zurück (DB 1966, 1306 = AG 1966, 366) und wies eine Reihe von Besonderheiten auf. Das dortige Angebot der Versicherungs-AG an das abberufene Vorstandsmitglied für eine neu zu schaffende Stelle als Leiter der Buchhaltung mit zwei Hauptbuchhalterinnen und 16 Angestellten wurde vom BGH als zumutbar angesehen, nachdem der Vorstand bereits früher in einem vergleichbaren Bereich tätig gewesen war und es sich um eine (selbst-)verschuldete Abberufung handelte. Allerdings stellte der BGH nicht auf das Verschulden des Organmitgliedes in Bezug auf die Abberufung ab. Es können jedoch nur besondere Umstände, insb. das Verschulden, einen Ausnahmefall begründen, woraus sich im Einzelfall überhaupt die Verpflichtung zur Annahme einer anderen als der Organtätigkeit, als auch dann das Maß der Zumutbarkeit der angebotenen neuen Tätigkeit ergeben kann (a.A. Röder/Lingemann, DB 1993, 1341, 1347, wonach es nicht für die Verpflichtung als solche, sondern nur für die Zumutbarkeit der angebotenen Tätigkeit auf die Verschuldungsfrage ankomme). Abgesehen von solchen Ausnahmefällen, die im Einzelfall zu einem anderen Ergebnis führen mögen, schuldet das Vorstandsmitglied grds. keine andere Tätigkeit als die Dienste als Organ, insb. keine Tätigkeit unterhalb der Organebene. Soweit daher der Anstellungsvertrag nicht eine ausdrückliche Regelung darüber enthält, wonach das Vorstandsmitglied nach der Abberufung zu einer anderen Tätigkeit verpflichtet ist, hat das abberufene Vorstandsmitglied Anspruch auf Freistellung für die Zeit von der Abberufung bis zum Ende des Anstellungsverhältnisses. Der Anspruch auf Vergütung für diese Zeit folgt aus § 615 S. 1 BGB. Ggf. ist § 615 S. 2 BGB zu berücksichtigen (vgl. zu den Schwierigkeiten bei der Berechnung in tatsächlicher Hinsicht Peltzer, BB 1976, 1249, 1251 f.), der jedoch bei einvernehmlicher Freistellung ausscheidet (ebenso Bauer, DB 1992, 1413, 1417 m.w.N.).