Peter Houben, Dr. iur. Martin Schimke
Rz. 785
Die Beweislast für eine vom Vertragswortlaut abweichende tatsächliche Durchführung hat diejenige Partei, die sich darauf beruft. Trägt der Arbeitgeber vor, bei dem Arbeitsvertrag habe es sich um ein Scheingeschäft i.S.v. § 117 BGB gehandelt, in Wirklichkeit läge ein Freies-Mitarbeiter-Verhältnis vor, das auch in tatsächlicher Hinsicht so durchgeführt worden sei, so trifft ihn dafür die Beweislast (vgl. LAG Schleswig-Holstein v. 13.11.2007 – 5 Sa 301/07, n.v.; BAG v. 13.2.2003 – 8 AZR 59/02, NZA 2003, 854 = NJW 2003, 2930). Umgekehrt muss der freie Mitarbeiter, der vorträgt, in Wirklichkeit Arbeitnehmer zu sein, dies konkret darlegen und im Bestreitensfall beweisen. Dies gilt bspw. für die Darlegungs- und Beweislast des Freien Mitarbeiters, er sei in der zeitlichen Einteilung und Gestaltung seiner Arbeitszeit aufgrund vorgegebener Kundenbesuchstermine nicht frei gewesen (vgl. BAG v. 20.8.2003 – 5 AZR 609/02, n.v.).
Praxishinweis
1. Zur Feststellung eines vom Vertragswortlaut abweichenden Geschäftsinhalts sind einzelne Vorgänge nur geeignet, wenn es sich dabei nicht um untypische Einzelfälle, sondern um beispielhafte Erscheinungsformen einer durchgehend geübten Vertragspraxis handelt (vgl. BAG v. 11.8.2015 – 9 AZR 98/14).
2. Eine etwaige abweichende Vertragspraxis lässt nur Rückschlüsse auf den wirklichen Geschäftswillen der Vertragsparteien zu, wenn die zum Vertragsabschluss berechtigten Personen die vom Vertragswortlaut abweichende Vertragspraxis kennen und sie zumindest billigen (vgl. BAG v. 27.6.2017 – 9 AZR 851/16; BAG v. 20.9.2016 – 9 AZR 735/15).
Rz. 786
Zu berücksichtigen ist, dass Begriffe, die eine rechtliche Bewertung enthalten (z.B. Pflichten, Unterstellungsverhältnisse u.a.) insoweit einer Beweisaufnahme nicht zugänglich sind; ihre im Fall pauschalen Bestreitens erforderliche Substantiierung verlangt den Vortrag sinnlich wahrnehmbarer Fakten (Indiztatsachen), aus denen sie hergeleitet werden sollen (vgl. LAG Köln v. 26.6.1998, LAGE § 611 BGB Arbeitnehmerbegriff Nr. 37). Gem. § 373 ZPO muss die beweispflichtige Partei diejenigen Tatsachen bezeichnen, zu denen der Zeuge vernommen werden soll. Tatsachen sind konkrete, nach Zeit und Raum bestimmte, der Vergangenheit oder der Gegenwart angehörende Geschehnisse oder Zustände. Entsprechen die unter Beweis gestellten Tatsachenbehauptungen nicht diesen Anforderungen, hat die Beweiserhebung aufgrund dieses unzulässigen Ausforschungsbeweisantrittes zu unterbleiben (vgl. BAG v. 12.7.2007 – 2 AZR 723/05; BAG v. 15.12.1999 – 5 AZR 566/98, NZA 2000, 447 = DB 2000, 723; BAG v. 6.5.1998, DB 1998, 1869 = NZA 1998, 939). Wird ein Beweis angetreten, bei dem es an der Bestimmtheit der zu beweisenden Tatsachen fehlt, und sollen durch die beabsichtigte Beweiserhebung erst die Grundlagen für substantiierte Tatsachenbehauptungen gewonnen werden, ist dieser Beweisantritt unzulässig und unbeachtlich (vgl. BAG v. 15.12.1999 – 5 AZR 566/98, NZA 2000, 447 = DB 1999, 2648.; BAG v. 28.5.1998, NZA 1999, 96 = BB 1998, 2372). Soweit keiner der Vertragsparteien eine vom Vertrag abweichende Durchführung vorträgt, beurteilt das Gericht den Status ausschließlich aus der schriftlichen Vereinbarung der Parteien (vgl. BAG v. 9.5.1996 – 2 AZR 438/95, NZA 1996, 1145 = DB 1996, 2033).