Peter Houben, Dr. iur. Martin Schimke
Rz. 594
Nach der Rechtsprechung des BGH sind Organmitglieder keine Arbeitnehmer i.S.d. arbeitsrechtlichen Bestimmungen, da sie selbst Arbeitgeberfunktionen ausüben (vgl. BGH v. 26.3.2019 – II ZR 244/17, juris Rn 27; BGH v. 10.5.2010 – II ZR 70/09, juris Rn 7). Ob bzw. inwieweit die Rechtsprechung des EuGH zum GmbH-GF als Organ der GmbH auf das Vorstandsmitglied einer AG ausstrahlt, ist umstritten (vgl. ablehnend Spindler/Stilz/Fleischer, § 84 AktG Rn 27 m.w.N.).
Rz. 595
Während beim GmbH-GF als Organ der GmbH seit der Danosa-Entscheidung des EuGH (vgl. EuGH v. 11.11.2010 – Rs. C-232/09); vgl. ferner EuGH v. 9.7.2015 – Rs. C-229/14 Balkya; EuGH v. 10.9.2015 – Rs. C-47/14 Holtermann) nicht mehr über die Arbeitnehmereigenschaft an sich, sondern nur noch über den Umfang der Anwendung von Arbeitnehmerschutzrechten für (Fremd-)Geschäftsführer diskutiert wird (s. oben Rdn 148 ff.), ist nicht geklärt, ob bzw. inwieweit dies für den Vorstand als weisungsfreiem und (nur) Zustimmungsvorbehalten unterliegendem Organ der AG gelten könnte. Es geht zumindest um alle auf Unionsrecht basierenden Arbeitnehmerschutzvorschriften. Nach der Rspr. des EuGH ist die Arbeitnehmereigenschaft eines Mitglieds der Unternehmensleitung einer Kapitalgesellschaft, das dieser gegenüber Leistungen erbringt und in sie eingegliedert ist, zu bejahen, wenn es seine Tätigkeit für eine bestimmte Zeit nach der Weisung oder unter der Aufsicht eines anderen Organs dieser Gesellschaft ausübt und als Gegenleistung für die Tätigkeit ein Entgelt erhält (vgl. EuGH v. 11.11.2010 – Rs. C-232/09 Danosa).
Rz. 596
Der Aufsichtsrat einer AG ist das vom EuGH geforderte "andere" Organ der Gesellschaft, und die Aufgabe des Aufsichtsrats besteht gem. § 111 Abs. 1 AktG u.a. in der Überwachung der Geschäftsführung des Vorstands. Wenngleich das Vorstandsmitglied zwar – anders als der GmbH-Geschäftsführer – die Aktiengesellschaft gem. § 76 Abs. 1 AktG unter eigener Verantwortung leitet, so ist das Vorstandsmitglied gleichwohl aufgrund des gem. § 111 Abs. 4 S. 2 AktG zu beschließenden – mehr oder weniger großen – jeweiligen Katalogs zustimmungspflichtiger Geschäfte in seiner Handlungsfreiheit eingeschränkt. Hinzu kommt, dass die ursprüngliche "Soll"-Vorschrift des § 111 Abs. 4 S. 2 AktG längst eine "Muss"-Vorschrift ist, auf die also nicht verzichtet werden kann (vgl. TransPuG v. 19.7.2002, BGBl I, 2681). Im Übrigen normiert § 82 Abs. 2 AktG ausdrücklich die im Innenverhältnis geltenden Beschränkungen (s. unten Rdn 607). Erst recht gilt dies bei einem Beherrschungsvertrag zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft im Konzern. Der Vorstand der Hauptgesellschaft ist gegenüber dem Vorstand der beherrschten AG weisungsbefugt gemäß §§ 323 Abs. 1, 308 AktG. Insofern spricht einiges dafür, dass im Einzelfall bzw. Ausnahmefall auch Vorstände der AG analog der Danosa-/Balkaya-/Holtermann- Rechtsprechung des EuGH als Arbeitnehmer/in eingestuft werden könnten, soweit es sich um auf Unionsrecht basierende Arbeitnehmerschutzvorschriften handelt, wie beispielsweise beim Mutterschutz aufgrund des Anwendungsbereichs der Mutterschutzrichtlinie. Kommt es zu einer Vorlage an den EuGH, ist davon auszugehen, dass der Arbeitnehmerschutz des europäischen Rechts grds. auch für angestellte Organmitglieder juristischer Personen, also auch in der AG, gilt. Ferner verfährt auch der deutsche Gesetzgeber in gewissem Umfang bereits so, wie in § 6 Abs. 3 AGG, s. nachfolgend Rdn 597 ff.