Peter Houben, Dr. iur. Martin Schimke
Rz. 639
Soweit nach der Festsetzung der Vorstandsvergütung eine Verschlechterung in den Verhältnissen der Gesellschaft eintritt, dass die Weitergewährung der Bezüge nach § 87 Abs. 1 AktG unbillig für die Gesellschaft wäre, so soll gem. § 87 Abs. 2 S. 1 AktG der Aufsichtsrat (vgl. zur Zuständigkeit des Gesamtaufsichtsrats, oben Rdn 581) die Bezüge auf die angemessene Höhe herabsetzen (vgl. zur Reichweite des § 87 Abs. 2 AktG Dauner-Lieb/Friedrich, NZG 2010, 688). Durch das VorstAG wurde § 87 Abs. 2 S. 1 AktG von "kann" zu "soll" mit Wirkung zum 5.8.2009 verschärft. Ferner wurde das Wesentlichkeitskriterium bewusst gestrichen, es ist keine "wesentliche" Verschlechterung in den Verhältnissen der AG mehr für die Herabsetzung erforderlich (vgl. Moll, FS für Jobst Wellensiek, S. 485 ff., 509). Der Aufsichtsrat haftet, wenn er einen schuldhaften Pflichtenverstoß nach § 87 Abs. 2 AktG begeht, auch wenn § 116 S. 3 AktG ausdrücklich nur § 87 Abs. 1 AktG erwähnt (vgl. Waldenberger/Kaufmann, BB 2010, 2257, 2262). Das Vorstandsmitglied kann im Fall der Herabsetzung seiner Vergütung seinen Anstellungsvertrag für den Schluss des nächsten Kalendervierteljahres mit einer Kündigungsfrist von sechs Wochen kündigen (§ 87 Abs. 2 S. 4 AktG).
Rz. 640
Mit der der neuen Gesetzeslage beschäftigte sich inzwischen erstmalig der BGH, der in wesentlichen Punkten zu anderen Ergebnissen als die Vorinstanz des OLG Stuttgart kam. Nach der Rechtsauffassung des BGH ist Sinn und Zweck des § 87 Abs. 2 AktG, dass der Aufsichtsrat eine Handhabe erhält, den Vorstand unter Abweichung von dem Grundsatz "pacta sunt servanda" im Rahmen von dessen Treuepflicht an dem Schicksal der Gesellschaft teilhaben zu lassen. Das Vorstandsmitglied sei hinreichend dadurch geschützt, dass es gerichtlich überprüfen lassen kann, ob die Herabsetzung seiner Bezüge sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach den gesetzlichen Vorgaben des § 87 Abs. 2 AktG entspricht. Der BGH hat mit seiner Entscheidung klargestellt, dass das Wort "soll" im Gesetzestext so zu verstehen ist, dass der Aufsichtsrat im Regelfall zu einer Herabsetzung verpflichtet ist (= keine Ermessensentscheidung, vgl. Kort, AG 2016, 209) und nur bei Vorliegen besonderer Umstände davon absehen darf. Voraussetzung ist, dass sich die Lage der Gesellschaft verschlechtert hat, und die Weitergewährung der Bezüge unbillig für die Gesellschaft ist. Von einer Verschlechterung der Lage ist jedenfalls dann auszugehen, wenn die Gesellschaft insolvenzreif ist. Die Herabsetzung der Bezüge muss der Höhe nach mindestens auf einen Betrag erfolgen, dessen Gewährung angesichts der Verschlechterung der Lage der Gesellschaft nicht mehr als unbillig angesehen werden kann (vgl. BGH v. 27.10.2015 – II ZR 296/14; vgl. ferner: Strohn, Der Aufsichtsrat 2016, 43; Arnold, DB 2016, 700; kritisch Kort, AG 2016, 209, wonach die Herabsetzung entgegen BGH ohne Berücksichtigung individuell-subjektiver Kriterien in größerem Ausmaß als vom BGH angenommen zu erfolgen habe).
Rz. 641
Hinweis
Zu beachten ist in einem solchen Fall ggf. die Beitragsbemessungsgrenze für die gesetzliche Krankenversicherung:
Denn soweit die Vergütung des Vorstandsmitglieds unter die Beitragsbemessungsgrenze für die Krankenversicherungspflicht herabgesetzt wird, kann gesetzliche Krankenversicherungspflicht entstehen (s. unten Rdn 724).
Anders als bei der Rentenversicherung besteht bei der Krankenversicherung für Vorstände keine Befreiung per Gesetz.
Rz. 642
Ruhegehalt, Hinterbliebenenbezüge und Leistungen verwandter Art können nur in den ersten drei Jahren nach Ausscheiden aus der Gesellschaft nach S. 1 herabgesetzt werden. Diese Regelung wurde durch das VorstAG in § 87 Abs. 2 S. 2 AktG neu eingeführt und ist lebhaft umstritten (vgl. Wagner/Wittgens, BB 2009, 906, 910; Böhm, NZA 2009, 767). M.E. ist die Vorschrift verfassungsgemäß (vgl. ebenso Thüsing, AG 2009, 517, 523). Die Anwendung wird sich jedoch auf extreme Ausnahmefälle beschränken.