Rz. 994

Erstattung i.H.d. Arbeitnehmeranteile, also der Hälfte der Beiträge, kann der Arbeitgeber zwar im Prinzip von dem Beschäftigten verlangen, soweit nicht ausnahmsweise eine Nettolohnabrede vereinbart sein sollte (s. oben Rdn 833 sowie unten Rdn 1037). Der Anspruch kann allerdings nur durch Abzug vom Arbeitsentgelt geltend gemacht werden, und auch nur,

wenn der unterbliebene Abzug bei den drei nächsten Lohn- und Gehaltszahlungen nachgeholt wird (§ 28g S. 3 Hs. 1 SGB IV),
danach nur, wenn der Abzug "ohne Verschulden" des Arbeitgebers unterblieben ist (§ 28g S. 3 Hs. 2 SGB IV).
 

Rz. 995

 

Beispiel

Wenn im September 2023 der Abzug unterbleibt, kann dieser i.d.R. nur im Oktober, November, Dezember 2023 nachgeholt werden.

 

Rz. 996

Voraussetzung in beiden Fällen des § 28g S. 3 SGB IV ist, dass das Beschäftigungsverhältnis in dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber den unterbliebenen Abzug der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung nachholen möchte, noch besteht (vgl. LAG Rheinland-Pfalz v. 10.6.2020 – 2 Sa 240/19, juris kein Rückerstattungsanspruch bei beendetem Arbeitsverhältnis). Dem liegt der Gedanke des Sozialversicherungsrechts zugrunde, wonach der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer grds. nur im Wege des Lohnabzugs Erstattung der Arbeitnehmeranteile verlangen kann (§ 28g S. 2 SGB IV).

 

Rz. 997

Eine Ausnahme von diesem Grundsatz der Erforderlichkeit des noch bestehenden Beschäftigungsverhältnisses besteht nach der Rspr. des BAG dann, wenn der Arbeitnehmer das Beschäftigungsverhältnis bewusst und nur aus dem Grunde kündigt, um sich dem Lohnabzug zu entziehen. In diesem Fall kann es sich um eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung i.S.v. § 826 BGB mit der Folge eines entsprechenden Schadensersatzanspruches handeln (vgl. LAG Rheinland-Pfalz v. 9. 7. 2015 – 2 Sa 8/15; BAG v. 21.9.2011 – 5 AZR 629/10; BAG v. 14.1.1988, BB 1988, 1673). In der Praxis wird sich der Nachweis, dass der Mitarbeiter ausschließlich wegen der Lohnabzüge des Arbeitgebers die Kündigung erklärt hat, nur schwer seitens des Arbeitgebers erbringen lassen (ebenso Hohmeister, NZA 1999, 1009, 1015).

 

Rz. 998

Eine weitere Ausnahme gilt gem. § 28g S. 4 SGB IV, wenn der Beschäftigte seinen Pflichten nach § 28o Abs. 1 S. 1 SGB IV (Angaben zur Durchführung des Meldeverfahrens und der Beitragszahlung) vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachkommt. Regelmäßig werden diese Voraussetzungen jedoch nicht erfüllt sein. Denn der Arbeitgeber unterlässt den Beitragsabzug nicht deswegen, weil ihm das Versicherungsnachweisheft des Mitarbeiters während der beitragspflichtigen Beschäftigung des Arbeitnehmers nicht vorlag, sondern weil er irrig von einer versicherungsfreien Tätigkeit des Mitarbeiters ausging. Insofern erfolgte keine Aufforderung an den Mitarbeiter, sein Versicherungsnachweisheft vorzulegen (vgl. LAG Nds. v. 8.5.1995 – 6 Sa 810/94, n.v.).

 

Rz. 999

Soweit bei einem noch bestehenden und weiter fortgeführten Beschäftigungsverhältnis die bei den drei nächsten Lohn- und Gehaltszahlungen anstehenden Beträge, max. i.H.d. Pfändungsgrenzen, das Volumen der nicht abgeführten Arbeitnehmerbeiträge nicht abdecken, kommt es für den Arbeitgeber entscheidend auf das Merkmal "ohne Verschulden" an. Schon zur alten Rechtslage legte die Rspr. an die Verschuldensfrage einen sehr strengen Maßstab an. Verschulden lag danach schon dann vor, wodurch der Rückgriff des Arbeitgebers auf den Beschäftigten ausgeschlossen war, wenn der Arbeitgeber nicht bei der zuständigen Krankenkasse als Einzugsstelle eine Klärung herbeigeführt hatte. Mit der Einführung des Anfrageverfahrens nach § 7a SGB IV durch das "Gesetz zur Förderung der Selbstständigkeit" (BGBl I 2000, 2) ist von einem Verschulden i.S.d. § 28g S. 3 Hs. 2 SGB IV bereits dann auszugehen, wenn bei Vorliegen von Anhaltspunkten für ein Beschäftigungsverhältnis das Anfrageverfahren nach § 7a SGB IV nicht durchgeführt wurde. Der Verzicht auf einen Antrag nach § 7a Abs. 1 S. 1 SGB IV kann vorwerfbar sein (vgl. Uffmann, RdA 2019, 360 ff., 363, 364 u. Fn. 50; BGH v. 13.12.2018 – 5 StR 275, juris; BSG v. 9.11.2011 – B 12 R 18/09 R, DStR 2012, 662 = SGb 2012, 26; relativiert durch BSG v. 12.12.2018 – B 12 R 15/18 R, juris; s. auch Rdn 898). Dies bedeutet, dass ein Rückgriff des Arbeitgebers auf den Arbeitnehmer i.d.R. ausgeschlossen ist. Gleichwohl sind Fälle denkbar, in denen der Abzug ohne Verschulden des Arbeitgebers unterblieben ist. Dann kann der unterbliebene Abzug nicht nur bei den drei nächsten Lohn- oder Gehaltszahlungen, sondern auch später noch nachgeholt werden. In diesen Fällen ergibt sich die zeitliche Grenze, wie lange der Abzug später noch nachgeholt werden darf, aus den Grundsätzen der Verjährung. Dafür gilt § 25 SGB IV. Denn unter den Ansprüchen auf Beiträge i.S.d. § 25 SGB IV sind auch die Ansprüche der Arbeitgeber gegen die Arbeitnehmer auf die Arbeitnehmeranteile an den Beiträgen zu verstehen (vgl. BSG v. 25.10.1990 – 12 RK 27/89, NZA 1991, 493).

 

Rz. 1000

 

Hinweis zur praktisch ausgeschlossenen Erstattung von Arbeitn...

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