Peter Houben, Dr. iur. Martin Schimke
I. Bedeutung der Genossenschaft
Rz. 728
Das Genossenschaftswesen hat in Deutschland eine rd. 150-jährige Tradition und reicht weit in das 19. Jahrhundert zurück. Durch das Gesetz zur Einführung der Europäischen Genossenschaft und zur Änderung des GenG v. 14.8.2006 (BGBl I v. 18.8.2006, S. 1911 ff.) erhielt das GenG eine grundlegende Reform (vgl. Geschwandtner, in: Dombeck/Geschwandtner/Rohde/Stüber, 2023, § 1 Rn 2 ff.). Zielsetzung dieser Novellierung war, die Attraktivität der genossenschaftlichen Rechtsform zu steigern, die Gründung von Genossenschaften zu erleichtern und insgesamt eine Modernisierung, auch in sprachlicher Hinsicht, zu erreichen ("Genossen" wurden zu "Mitgliedern" – "Statut" wurde zur "Satzung"). Nach der neuen – erweiterten – Begriffsbestimmung sind gem. § 1 Abs. 1 GenG Genossenschaften:
Zitat
"Gesellschaften von nicht geschlossener Mitgliederzahl, deren Zweck darauf gerichtet ist, den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder oder deren soziale oder kulturelle Belange durch gemeinschaftlichen Betrieb zu fördern."
Rz. 729
Es gilt der Grundsatz: Ein Mitglied – eine Stimme (§ 43 Abs. 3 S. 1 GenG), allerdings kann die Satzung abweichendes bestimmen. Das Besondere dieses Prinzips der Genossenschaften ist, dass die Generalversammlung damit – anders als bei anderen Rechtsformen – grundsätzlich nicht im Interesse der Kapitalstärksten, sondern der Mehrheit der Mitglieder entscheidet. Die Genossenschaft ist eine Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit (§ 17 GenG).
Rz. 730
Insgesamt liegt die Zahl der in der Rechtsform der eG betriebenen Unternehmen im Jahr 2023 bei mehr als 7.000 eingetragenen Genossenschaften. Neben den über 1.700 ländlichen Genossenschaften (Agrar- und Ernährungswirtschaft) sind vor allem die fast 800 Kreditgenossenschaften (Volks-, Raiffeisen-, Sparda, PSD-Banken), die in der Form einer eG betrieben werden, die rund 1.400 gewerblichen Genossenschaften (Photovoltaik, Handel, Handwerk, Verkehr etc.), die Konsum- und Dienstleistungsgenossenschaften, Apothekergenossenschaften (Herstellung von und der Handel mit Medikamenten) und Ärztegenossenschaften (Erledigung von Abrechnungsaufgaben für ihre Mitglieder) sowie die rd. 1.800 Wohnungsbaugenossenschaften zu nennen (vgl. www.dgrv.de sowie www.gdw.de).
Rz. 731
Die Bedeutung der Genossenschaft wird durch die wachsende Zahl der Neugründungen unterstrichen. Allein im Jahr 2021 wurden unter dem Dach des DGRV 113 Genossenschaften gegründet. Die Vollversammlung der Vereinten Nationen hat das Jahr 2012 zum Internationalen Jahr der Genossenschaften erklärt, um den Beitrag hervorzuheben, den diese für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung leisten.
II. Vorstand der Genossenschaft
Rz. 732
Der Vorstand hat die Genossenschaft unter eigener Verantwortung zu leiten. Er hat dabei die Beschränkungen zu beachten, die durch die Satzung festgesetzt worden sind (§ 27 Abs. 1 GenG). Gemäß § 27 Abs. 1 S. 3 GenG (neu eingefügt durch das Gesetz zum Bürokratieabbau und zur Förderung der Transparenz bei Genossenschaften vom 17.7.2017 – BGBl I, 2434) kann bei Genossenschaften mit nicht mehr als 20 Mitgliedern die Satzung vorsehen, dass der Vorstand an Weisungen der Generalversammlung gebunden ist. Wie beim Vorstand der AG wird die Genossenschaft durch den Vorstand gerichtlich und außergerichtlich vertreten (§ 24 Abs. 1 S. 1 GenG).
Rz. 733
Ein Alleinvorstand, d.h. der Vorstand besteht nur aus einer Person, ist bei der Genossenschaft gem. § 24 Abs. 2 S. 3 GenG nur im Ausnahmefall möglich, wenn die Genossenschaft aus nicht mehr als 20 Mitgliedern besteht und die Satzung bestimmt, dass der Vorstand nur aus einer Person besteht. Erst die Novellierung des GenG v. 14.8.2006 (vgl. BGBl I v. 18.8.2006, 1911 ff.) hat eingeführt, dass bei Genossenschaften mit nicht mehr als 20 Mitgliedern die Satzung bestimmen kann, dass der Vorstand aus einer Person besteht (§ 24 Abs. 2 S. 3 GenG). Nur für diesen Fall darf wegen der Gesetzesstrenge des § 18 S. 2 GenG die Satzung einen einköpfigen Vorstand vorsehen (vgl. Beuthien, GenG, § 24 Rn 6). Damit wollte der Gesetzgeber die Bedeutung der Genossenschaft für kleine Unternehmen steigern. Auch auf einen Aufsichtsrat kann die Genossenschaft im Fall der kleinen Genossenschaft gem. § 9 Abs. 1 S. 2 GenG verzichten. Dies ist anders als beim Vorstand der AG.
Rz. 734
Grds. hat der Vorstand der Genossenschaft aus zwei Personen zu bestehen, die von der Generalversammlung gewählt und – neu seit der Novellierung des GenG v. 14.8.2006 (vgl. BGBl I 2006, S. 1911 ff.) –, auch abberufen werden (§ 24 Abs. 2 S. 1 GenG). Die Satzung kann eine höhere Personenzahl sowie eine andere Art der Bestellung und Abberufung bestimmen (§ 24 Abs. 2 S. 2 GenG). Damit kann die Zuständigkeit zur Bestellung und auch endgültigen Abberufung (vgl. § 40 GenG zur vorläufigen Amtsenthebung durch den Aufsichtsrat) und (außerordentlichen) Kündigung eines Vorstandsmitgliedes in der Satzung einheitlich in die Hände des Aufsichtsrats gelegt werden (vgl. h.M.: BGH v. 2.7.2019 – II ZR 155/18, juris Ls. und Rn 13 ff., 17 mwN.; a.A....