Peter Houben, Dr. iur. Martin Schimke
Rz. 1802
Bestimmte Tatbestände des Dritteinsatzes hat der Gesetzgeber von der Erlaubnispflicht befreit. Entweder stellt er ausdrücklich fest, dass überhaupt keine Arbeitnehmerüberlassung vorliegt, oder die besondere Art der Überlassung macht die Anwendung des AÜG entbehrlich. Im Einzelnen gelten folgende Ausnahmen:
1. Abordnung zu einer Arbeitsgemeinschaft
Rz. 1803
Nicht als Arbeitnehmerüberlassung i.S.d. AÜG gilt die Abordnung von Arbeitnehmern zu einer ARGE, deren Mitglieder sich jeweils zur selbstständigen Erbringung von Vertragsleistungen verpflichtet haben, wenn darüber hinaus für alle ARGE-Mitglieder Tarifverträge desselben Wirtschaftszweiges gelten (§ 1 Abs. 1a S. 1 AÜG). Dies trifft vor allem im Baugewerbe zu. Das generelle Verbot der Arbeitnehmerüberlassung im Baugewerbe (vgl. unten Rdn 1806) kommt für Bau-ARGEn nicht zum Tragen.
Rz. 1804
Typisch und zulässig ist eine Vermischung des Personals im Rahmen arbeitsteiliger Tätigkeit im ARGE-Projekt. Die vertragliche Verpflichtung soll sich also nicht im bloßen Überlassen der Arbeitnehmer erschöpfen, sondern diese als Erfüllungsgehilfen zur selbstständigen Teil-Werkherstellung oder -Dienstleistung einsetzen (vgl. auch Nr. 1.1.6.7.7 BA-Geschäftsanweisung).
Rz. 1805
Das besondere Merkmal der einheitlichen Tarifgeltung wird vom Gesetz nicht eingeschränkt. Sie besteht also nicht nur im Fall der Tarifbindung durch Verbandsmitgliedschaft oder Allgemeinverbindlichkeit (§§ 3, 5 TVG), sondern auch durch einzelvertragliche Vereinbarung mit den in der ARGE eingesetzten Arbeitnehmern (ebenso ErfK/Wank, § 1 AÜG Rn 64; Schüren/Hamann, § 1 Rn 470; gegen die einzelvertragliche Bezugnahme wohl weiterhin auch Nr. 1.1.6.7.3 BA-Geschäftsanweisung). Auf eine kollektive Tarifbindung auch des Arbeitnehmers stellt das Gesetz ohnehin nicht ab.
Rz. 1806
Der EuGH (v. 25.10.2001 – Rs. C-493/99) hat Deutschland wegen Verstoßes gegen die Art. 52 und 59 EGV verurteilt, weil Unternehmen aus Mitgliedstaaten ohne Sitz oder Niederlassung in Deutschland mangels Tarifbindung nicht das ARGE-Privileg des § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG a.F. in Anspruch nehmen konnten. Dem trug der deutsche Gesetzgeber durch die Einfügung des § 1 Abs. 1a S. 2 AÜG n.F. Rechnung, wonach Arbeitgeber aus einem anderen Mitgliedstaat des EWR nun auch ohne Unterwerfung unter einen deutschen Tarifvertrag abordnen können (auch unten Rdn 1821).
2. Arbeitnehmerüberlassung im Wege der Nachbarschaftshilfe
Rz. 1807
Auch eine Arbeitnehmerüberlassung im Wege der Nachbarschaftshilfe zwischen Arbeitgebern desselben Wirtschaftszweiges ist nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 AÜG erlaubnisfrei, wenn sie der Vermeidung von Kurzarbeit oder Entlassungen dient und wenn solches in einem für beide Vertragspartner geltenden Tarifvertrag vorgesehen ist. Von dieser Möglichkeit haben Tarifparteien verschiedener Spezialbranchen bereits Gebrauch gemacht (vgl. dazu Sandmann/Marschall, § 1 Rn 124). Auch hier kann die Tarifgeltung einzelvertraglich hergestellt werden (ebenso Schüren/Hamann, § 1 Rn 607; ErfK/Wank, § 1 AÜG Rn 82).
3. Vorübergehender Konzernverleih
Rz. 1808
Ebenfalls nicht anzuwenden ist das AÜG auf den Konzernverleih (zum früheren Recht noch BAG v. 17.1.2007 – 7 AZR 23/06), wenn der Arbeitnehmer nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt wird (§ 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG). Das bisherige Merkmal "vorübergehend" wurde ab 1.12.2011 mit Rücksicht auf Art. 1 Abs. 1 der Leiharbeitsrichtlinie 2008/104/EG gestrichen, obwohl gerade dort der nur vorübergehende Charakter der Leiharbeit hervorgehoben worden ist. Nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG privilegiert sind alle Handelsunternehmen i.S.d. § 18 AktG, gleichgültig in welcher Rechtsform sie ausgestaltet sind (also nicht etwa nur AG). Überlassen werden kann vertikal und horizontal in jede Richtung. Entscheidend war schon vor der Gesetzesänderung, dass die Arbeitsleistung im anderen Konzernbetrieb nicht auf Dauer geplant ist, sondern nur vorübergehend erfolgt. Wie lange die Überlassung im Einzelfall dauert, ist nachrangig. Die Rspr. ließ bislang großzügig auch mehrjährige Tätigkeit zu, wenn nur die anfängliche Planung des verleihenden Konzernunternehmens (vgl. Schubel, BB 1985, 1606) den vorübergehenden Charakter erkennen lässt (BAG v. 5.5.1988 – 2 AZR 795/78; ArbG Köln v. 9.2.1996 – 2 Ca 6262/95; Sandmann/Marschall, § 1 Rn 81). Das LAG Hamm (v. 6.5.2011 – 7 Sa 1583/10, Tz. 45 ff.) hat – noch nach altem Recht – das Konzernprivileg verneint, wenn nicht sichergestellt ist, dass der Konzernmitarbeiter nach Beendigung seines Einsatzes seine Arbeitsleistung wieder bei dem überlassenden Konzernunternehmen aufnehmen kann, also keine endgültig geplante Überlassung vorliegt.
Sind die Voraussetzungen der konzerninternen Arbeitnehmerüberlassung erfüllt, sind die Vorschriften des AÜG grds. nicht anzuwenden. In der Praxis ist dies vor allem für die in § 1 Abs. 1 S. 4, Abs. 1b AÜG geregelte Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten relevant, die also bei konzerninterner Arbeitnehmerüberlassung überschritten werden darf.
Rz. 1809
All dies gilt auch für den transnationalen Konzernverleih (so schon Schubel, BB 1985, 1606; Sandmann/Marschall, § 1 Rn 128; Schüren/Hamann, § 1 Rn ...