Rz. 809

Für die Abgrenzung zwischen Arbeitnehmer- und Freier-Mitarbeiter-Eigenschaft sind in erster Linie die Umstände von Bedeutung, unter denen die Dienstleistung zu erbringen ist, da sich die persönliche Abhängigkeit des Verpflichteten danach bestimmt, inwieweit die Ausführung der versprochenen Dienste weisungsgebunden und damit fremdbestimmt erfolgt (vgl. BAG v. 27.6.2017 – 9 AZR 851/16; BAG v. 21.7.2015 – 9 AZR 484/14), und nicht die Modalitäten der Bezahlung oder die steuer- und sozialversicherungsrechtliche Behandlung (vgl. BAG v. 30.11.2021 – 9 AZR 145/21, juris Rn 58; vgl. auch schon BAG v. 16.7.1997 – 5 AZR 312/96, DB 1997, 2437 = NZA 1998, 368 m.w.N.; vgl. auch Reufels, in: GmbH-Handbuch, Teil IV, 1. Abschnitt, Rn 64 Rundfunk). Vielfach brauchen nur vier Kernfragen ernsthaft beantwortet zu werden:

 

Rz. 810

Checkliste Arbeitsrecht: Freier Mitarbeiter/Arbeitnehmer

Kann der Mitarbeiter Ort, Zeit, Dauer, Inhalt und Art und Weise der Tätigkeit praktisch uneingeschränkt frei bestimmen?
Ist der Mitarbeiter, wenn auch zeitlich begrenzt, in den Betrieb eingegliedert?
Schuldet der Mitarbeiter seine (eigene) Arbeitskraft nur einem Arbeitgeber?
Beschafft der Mitarbeiter die wesentlichen Arbeitsmittel selbst?

(vgl. auch die sozialversicherungsrechtliche Checkliste Rdn 912, die steuerliche Checkliste Rdn 1025 sowie die rechtsübergreifende Checkliste Rdn 1065).

 

Rz. 811

 

Hinweis zur arbeitsrechtlichen Abgrenzung

1. Die Fragestellungen verdeutlichen, dass die rechtlichen Möglichkeiten jeweils vor Abschluss eines Freien-Mitarbeiter-Vertrages stets genau anhand der tatsächlichen Gegebenheiten geprüft werden müssen
2. Mitarbeiter z.B., die morgens pünktlich im Büro des Arbeitgebers zu sein haben und dort im Wesentlichen nach den Weisungen des Vorgesetzten bis zum Dienstschluss zu arbeiten haben, werden i.d.R. als Arbeitnehmer und nicht als selbstständige Unternehmer anzusehen sein, auch wenn sie in einem Vertrag möglicherweise anders bezeichnet werden.
 

Rz. 812

Bei den dazu erforderlichen detaillierten Feststellungen in tatsächlicher Hinsicht ist zu berücksichtigen, dass es kein Einzelmerkmal gibt, das aus der Vielzahl der möglichen Merkmale unverzichtbar vorliegen muss, damit von persönlicher Abhängigkeit gesprochen werden kann, wie ebenso wenig es ein Merkmal für die Abhängigkeit gibt, das sich nicht auch gelegentlich bei Selbstständigen findet. Gem. § 611a Abs. 1 S.4 BGB ist stets die Eigenart der jeweiligen Tätigkeit zu berücksichtigen, da der Grad der persönlichen Abhängigkeit auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit abhängt und es keine abstrakten, für alle Arbeitnehmer geltenden Kriterien gibt (vgl. BAG v. 30.11.2021 – 9 AZR 145/21, juris Rn 30 ff.; BAG v. 1.12.2020 – 9 AZR 102/20, juris Rm 31; BAG v. 27.6.2017 – 9 AZR 851/16; BAG v. 11.8.2015 – 9 AZR 98/14; BAG v. 21.7.2015 – 9 AZR 484/14; BAG v. 16.7.1997 – 5 AZR 312/96, DB 1997, 2437 = NZA 1998, 368: zur Statusbeurteilung eines Zeitungszustellers; BAG v. 21.3.1984 – 5 AZR 462/83, n.v.: zur Statusbeurteilung eines Bauleiters). Es finden sich zahlreiche Tätigkeiten, die sowohl im Rahmen eines Arbeits- als auch im Rahmen eines Freien-Mitarbeiterverhältnisses erbracht werden können (vgl. BAG v. 27.6.2017 – 9 AZR 851/16; BAG v. 13.3.2008 – 2 AZR 1037/06, NZA 2008, 878 = DB 2008, 1575; BAG v. 26.5.1999, DB 1999, 1704 = NZA 1999, 983; BAG v. 16.3.1994, NZA 1994, 1132 = SAE 1995, 122; BSG v. 12.12.1990, NZA 1991, 907 = BB 1991, 1417; vgl. im Einzelnen das Berufsgruppenlexikon von A bis Z, unten Rdn 1067 ff.).

 

Rz. 813

Die sozial- und steuerrechtliche Einordnung einer Tätigkeit als selbstständige oder nichtselbstständige kann nach der Rspr. des BAG zwar i.R.d. arbeitsrechtlichen Beurteilung unter Umständen als Indiz herangezogen werden, sie ist aber nicht ausschlaggebend; eine Bindungswirkung besteht nicht (vgl. BAG v. 26.6.2019 – 5 AZR 178/18, juris Rn 17; BAG v. 26.5.1999 – 5 AZR 469/98, DB 1999, 1704 = NZA 1999, 983, 984; LAG Nürnberg v. 14.4.2021 – 4 Ta 148/20, juris Rn 26).

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