Peter Houben, Dr. iur. Martin Schimke
Rz. 1567
Da Mitarbeiter im Vertriebsaußendienst einen großen Teil der Zeit dienstlich unterwegs sind, ergeben sich viele Fragen bzgl. der Arbeitszeit, z.B. ob die Reisezeit als Arbeitszeit i.S.d. ArbZG zählt oder ob Reisezeiten vergütungspflichtig sind. Erbringt die angestellte Vertriebskraft ihre geschuldete Arbeitsleistung, unterscheidet die Rechtsprechung zwischen der Vergütungspflichtigkeit dieser Dienste und der arbeitsschutzrechtlichen Einordnung (BAG v. 17.10.2018 – 5 AZR 553/17, NZA 2019 159; BAG v.12.12.2012 – 5 AZR 355/12, NZA 2013, 1158). Insbesondere unterfällt nach der Konzeption des ArbZG nicht jede im Interesse des Arbeitgebers liegende Beschäftigung der angestellten Vertriebskraft dem gesetzlichen Arbeitszeitschutz (BAG v. 11.7.2006 – 9 AZR 519/05, juris Rn 40, NZA 2007, 155).
Grds. sind für Arbeitnehmer im Vertrieb dieselben arbeitszeitrechtlichen Bestimmungen zu beachten wie für Innendienstmitarbeiter. Auch sie unterliegen dem ArbZG und bei Tarifbindung auch den tariflichen Regelungen. Zweck des ArbZG ist es, die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeitszeitgestaltung zu gewährleisten (§ 1 Nr. 1 ArbZG). Arbeitszeit i.S.d. ArbZG ist die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne die Ruhepausen (§ 2 Abs. 1 ArbZG). Der Arbeitszeitschutz ist weitgehend zwingendes Recht, vgl. § 7 ArbZG. Wegezeiten und Dienstreisezeiten können aufgrund der Umstände des Einzelfalls als Arbeitszeit i.S.d. § 3 ArbZG zu beurteilen sein. Das kommt in Betracht, wenn Arbeitnehmer sie zur Erledigung ihrer Arbeitsaufgaben aufwenden müssen. Nutzen Arbeitnehmer zur Zurücklegung von Wegen bzw. Dienstreisen demgegenüber beispielsweise öffentliche Verkehrsmittel und steht es ihnen frei, ob sie arbeiten oder private Angelegenheiten erledigen, handelt es sich bei diesen Zeiten nicht um Arbeitszeit i.S.d. § 3 ArbZG (BAG v. 11.7.2006 – 9 AZR 519/05, juris Rn 43, 44, NZA 2007, 155).
Arbeitgeber werden nach einer zu erwartenden Änderung des ArbZG verpflichtet sein, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit i.S.d. ArbZG gemessen werden kann (vgl. EuGH v. 14.5.2019 – C-15/18, juris Tz. 60 – CCOO). Nach der aktuellen Fassung des ArbZG ist der Arbeitgeber indessen nur verpflichtet, die über die werktägliche Arbeitszeit i.S.d. § 3 S. 1 ArbZG hinausgehende Arbeitszeit aufzuzeichnen (§ 16 Abs. 2 ArbZG).
Die Erfassung der von Angestellten im Vertriebsaußendienst geleisteten Arbeitszeit kann bspw. mittels einer entsprechenden App erfolgen. Die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) bereit gestellte App wird nicht mehr gewartet, kann aber als OpenSource Software genutzt werden. Angestellte können Apps auf ihre Smartphones laden und ihre Arbeits- und Pausenzeiten mit ihnen erfassen.
Wird die Arbeitszeit der angestellten Vertriebskraft demgegenüber mittels einer sog. Telematik-Box erfasst, kann ein Verstoß gegen § 26 BDSG als spezifische Norm i.S.d. Art. 88 Abs. 1 DSGVO und insoweit ein Unterlassungsanspruch der angestellten Vertriebskraft gegeben sein, wenn der Arbeitgeber das zur Verfügung gestellte Dienstfahrzeug mit einer Telematik-Box ausgestattet hat (vgl. ArbG Heilbronn v. 30.1.2019 – 2 Ca 360/18). Ein biometrisches Zeiterfassungssystem ist in aller Regel nicht erforderlich i.S.d. Art. 9 Abs. 2 lit. b) DSGVO, § 26 BDSG und daher datenschutzwidrig (LAG Berlin-Brandenburg v. 4.6.2020 – 10 Sa 2130, juris Ls. 1 Rn 62).
Die Einstufung einer bestimmten Zeitspanne als Arbeitszeit i.S.d. ArbZG führt nicht zwingend zu einer Vergütungspflicht i.S.d. § 611 Abs. 1 BGB. Umgekehrt muss die Herausnahme bestimmter Zeiten aus der Arbeitszeit nicht die Vergütungspflicht ausschließen. Unerheblich für die Vergütungspflicht von Reisezeiten ist daher deren arbeitszeitrechtliche Einordnung (BAG v. 17.10.2018 – 5 AZR 553/17, NZA 2019 159; BAG v. 12.12.2012 – 5 AZR 355/12, NZA 2013, 1158). Insbesondere findet die Arbeitszeitrichtlinie (RL 2003/88/EG) mit Ausnahme des in ihrem Art. 7 Abs. 1 geregelten besonderen Falls des bezahlten Jahresurlaubs keine Anwendung auf die Vergütung von Arbeitnehmern (EuGH v. 14.5.2019 – C-55/18, juris Rn. 36, 37 – CCOO; EuGH v. 21.2.2018 – C-518/15, juris Rn 42, 43 – Matzak).
Rz. 1568
Generell gilt, dass zwischen der grundsätzlich nicht zu vergütenden Wegezeit und der vergütungspflichtigen Dienstreisezeit unterschieden werden muss. Dienstreisezeit ist die Zeit für Fahrten an einen anderen Ort, an dem Dienstgeschäfte zu erledigen sind (BAG v. 23.7.1996, NZA 1997 216, AP BetrVG 1972 § 87 Ordnung des Betriebes Nr. 26), Wegezeit ist die Zeit, die Arbeitnehmer für den Weg von der Wohnung zur Arbeitsstätte und zurück benötigen, sie stellt in der Regel keine Arbeitsleistung dar (BAG v. 21.12.2006 – 6 AZR 341/06, NZA 2008, 136).
In Bezug auf Wegezeiten gilt, dass Arbeitnehmer mit dem eigennützigen Zurücklegen des Wegs zwischen Wohnung und Arbeitsstelle grds. keine Arbeitsleistung erbringen. Anders ist es, we...