Peter Houben, Dr. iur. Martin Schimke
1. Irrtümliche Gehaltsüberzahlung
Rz. 1595
Wird die Arbeitsvergütung irrtumsbedingt zu hoch ausgezahlt, hat der Arbeitgeber grundsätzlich einen bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruch gem. § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB. Im Streitfall muss er nach allgemeinen Grundsätzen darlegen und beweisen, dass für die Leistungen an den Arbeitnehmer im Umfang der Überzahlung ein Rechtsgrund nicht bestanden hat.
Rz. 1596
Das Erlangte im Sinne des § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB bezieht sich auf den überzahlten Bruttobetrag (BAG v. 11.10.2006 AP Nr. 4 zu § 5 EFZG). Verlangt der Arbeitgeber die Rückzahlung geleisteter Bruttoarbeitsvergütung, schließt dies auch die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung ein. Auch insoweit hat der Arbeitnehmer eine Leistung erlangt (BAG v. 21.1.2015 – 10 AZR 84/14, EversOK Ls. 4; BAG v. 9.4.2008 4 AZR 164/07, juris Rn 57).
Im Streitfall ist bei einer auf Rückzahlung von Bruttogehältern gerichteten Antragstellung hinsichtlich der Sozialversicherungsbeiträge § 26 SGB IV zu beachten. Im Falle zu Unrecht entrichteter Beiträge erlangt die angestellte Vertriebskraft nach § 26 Abs. 2 und Abs. 3 SGB IV einen Erstattungsanspruch, der in Bezug auf die von ihr getragenen Beiträge allein ihr zusteht. Der Arbeitgeber hat deshalb gegen sie nur einen Anspruch auf Abtretung dieses gegen den Sozialversicherungsträger bestehenden Anspruchs. Nur wenn die Abtretung nicht möglich ist, weil der beschäftigten Vertriebskraft von der Einzugsstelle die zu Unrecht entrichteten Sozialversicherungsbeiträge bereits ausgezahlt wurden, hat die Vertriebskraft den Wert des Anspruchs zu ersetzen. Lediglich in diesem Falle kann der Arbeitgeber von ihr Zahlung verlangen (BAG v. 21.1.2015 – 10 AZR 84/14, EversOK Ls. 5; BAG v. 9.4.2008 – 4 AZR 164/07, juris Rn 57; BAG v. 11.10.2006 – 5 AZR 755/05, juris Rn 20; BAG v. 19.2.2004 – 6 AZR 664/02). Der auf Abtretung des gegen die Sozialversicherung gerichteten Erstattungsanspruchs angebrachte Klageantrag ist ebenso wie ein entsprechender Zahlungsantrag nur dann hinreichend bestimmt i.S.v. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, wenn die Höhe der abgeführten Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung beziffert sind (BAG v. 21.1.2015 – 10 AZR 84/14, EversOK Ls. 6; BAG v. 9.4.2008 – 4 AZR 164/07, juris Rn 58).
Darüber hinaus ist der Wert der vom Arbeitgeber für Rechnung der angestellten Vertriebskraft an das Finanzamt entrichteten Lohnsteuer von der Vertriebskraft herauszugeben (BAG v. 19.1.1999 AP Nr. 1 zu § 70 BAT-O = NZA 1999, 1040). Im Falle einer Überzahlung erlangen Arbeitnehmer im Sinne des § 818 Abs. 2 BGB auch die Befreiung von der entsprechenden Steuerschuld, da sie gemäß § 19 Abs. 1 S. 2 EStG unabhängig davon entstand, ob ein Rechtsanspruch auf die Vergütung bestand. Stellt sich heraus, dass der Arbeitgeber zu viel Lohnsteuer abgeführt hat (§ 38 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und Abs. 3 S. 1 EStG), steht ihm gegen das Finanzamt kein Erstattungsanspruch zu (Schaub/Linck, ArbRHdB, § 74 Rn 7).
Rz. 1597
Der Rückzahlungsanspruch entsteht im Zeitpunkt der Überzahlung und wird auch zugleich fällig (BAG v. 19.2.2004 – 6 AZR 664/02 – AP BAT-O § 70 Nr. 3). Auf die Kenntnis des Arbeitgebers von seinem Rückzahlungsanspruch kommt es in einem solchen Fall nicht an. Denn sind dem Arbeitgeber die Grundlagen der Berechnung bekannt, fallen Fehler bei der Berechnung der Vergütung regelmäßig in seine Sphäre, weil sie von ihm eher durch Kontrollmaßnahmen entdeckt werden können als vom Empfänger der Leistung (BAG v. 19.2.2004 – 6 AZR 664/02 – AP BAT-O § 70 Nr. 3; BAG v. 16.11.1989 – 6 AZR 114/88, BAG 63, 246, 253).
Kann der Arbeitgeber die Überzahlung hingegen nicht erkennen, weil die Fehler bei der Berechnung der Vergütung in die Sphäre der angestellten Vertriebskraft fallen, wird der Rückzahlungsanspruch erst dann fällig, wenn der Arbeitgeber von den rechtsbegründenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Das kann bspw. der Fall sein, wenn die angestellte Vertriebskraft Änderungen in ihren persönlichen Verhältnissen, die sich auf die Höhe der Vergütung auswirken, dem Arbeitgeber nicht mitgeteilt hat (BAG v. 10.3.2005 – 6 AZR 217/04; BAG v. 19.2.2004 – 6 AZR 664/02 – AP BAT-O § 70 Nr. 3).
Rz. 1598
Der Rückforderungsanspruch kann bei positiver Kenntnis der Nichtschuld zum Zeitpunkt der Leistung gem. § 814 BGB ausgeschlossen sein (BAG v. 20.3.2014, NZA 2015, 189). Die Rückforderung ist hiernach nur dann nicht möglich, wenn der Arbeitgeber bei der Leistung positiv wusste, dass er nach der Rechtslage nichts schuldet (BAG v. 6.6.2007, AP Nr. 37 zu § 1 TVG). Liegt der Unkenntnis lediglich grobe Fahrlässigkeit zugrunde, steht dies dem Rückforderungsanspruch nicht entgegen (Schaub/Linck, § 74 Rn 3).
Rz. 1599
Allerdings ist der Rückforderungsanspruch ausgeschlossen, wenn die angestellte Vertriebskraft nicht mehr bereichert ist (§ 818 Abs. 3 BGB). Das ist der Fall, wenn das Erlangte ersatzlos entfallen und kein Überschuss zwischen dem vorhandenen Vermögen und demjenigen Vermögen besteht, das auch ohne die ursprüngliche Bereicherung vorhanden wäre. Entscheidend ist, ob die anges...