Norbert Schneider, Lotte Thiel
Rz. 61
Hat der bedürftige Beteiligte, dem ein Anwalt im Wege der Verfahrenskostenhilfe beigeordnet worden ist, zwar keine unmittelbaren Zahlungen auf die aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung erhalten, aber Zahlungen auf eine zuvor entstandene und anzurechnende Gebühr – insbesondere auf eine nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnende Geschäftsgebühr (Nr. 2300 VV) –, dann kann sich die Landeskasse mittelbar auf die Zahlung berufen. Durch die Zahlung der anzurechnenden Gebühr wird nämlich im Umfang der Anrechnung zugleich auch die Gebühr erfüllt, auf die anzurechnen ist.
Rz. 62
Auch hier ist jedoch § 58 Abs. 2 RVG zu berücksichtigen. Das bedeutet, dass tatsächlich geleistete Zahlungen des bedürftigen Beteiligten auf anzurechnende Gebühren zwar grundsätzlich berücksichtigt werden, dass diese Zahlungen aber zunächst einmal auf die nicht gedeckte Differenz zwischen Pflicht- (§ 49 RVG) und Wahlanwaltsgebühren (§ 13 RVG) zu verrechnen bzw. anzurechnen sind, und nur dann, wenn dieser Differenzbetrag gedeckt ist, auf die VKH-Gebühren angerechnet wird.
Rz. 63
Angerechnet werden nur von dem Beteiligten tatsächlich gezahlte oder vom Gegner tatsächlich erstattete Beträge. Eine Anrechnung von Beträgen, die der Anwalt verlangen kann, aber nicht erhalten hat, ist nicht zulässig.
Rz. 64
Eine zuvor angefallene anzurechnende Wahlanwaltsgebühr ist im Rahmen der Verfahrenskostenhilfevergütung also gem. § 58 Abs. 2 RVG nur dann zu berücksichtigen,
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wenn der Auftraggeber oder ein Dritter tatsächlich die anzurechnende Gebühr gezahlt hat und |
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der danach anzurechnende Betrag die nicht gedeckte Differenz zwischen der gerichtlichen Wahlanwalts- und Pflichtanwaltsgebühr übersteigt. |
Rz. 65
Bei Werten bis 4.000,00 EUR sind Zahlungen auf die Geschäftsgebühr in vollem Umfang anzurechnen, soweit sie den anrechnungsfreien Teil der Geschäftsgebühr übersteigen, da bis zu diesem Wert die Gebührenbeträge für Wahlanwalt und Pflichtanwalt identisch sind.
Beispiel 32: Anrechnung der Geschäftsgebühr, Wert bis 4.000,00 EUR, Geschäftsgebühr nicht bezahlt
Außergerichtlich war der Anwalt wegen einer Forderung in Höhe von 3.000,00 EUR als Wahlanwalt tätig. Der Anwalt hatte eine 1,5-Wahlanwalts-Geschäftsgebühr wie folgt abgerechnet:
1. |
1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV, § 13 RVG |
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301,50 EUR |
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(Wert: 3.000,00 EUR) |
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2. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
321,50 EUR |
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3. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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61,09 EUR |
Gesamt |
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382,59 EUR |
Diese Vergütung hat der Mandant jedoch nicht gezahlt. Im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren wird der Anwalt im Rahmen der Verfahrenskostenhilfe beigeordnet.
Es ist nichts anzurechnen, da der Anwalt auf die anzurechnende Gebühr keine Zahlung erhalten hat. Die Landeskasse muss die volle Verfahrensgebühr zahlen.
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV, § 49 RVG |
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261,30 EUR |
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(Wert: 3.000,00 EUR) |
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2. |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV, § 49 RVG |
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241,20 EUR |
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(Wert: 3.000,00 EUR) |
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3. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
522,50 EUR |
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4. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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99,28 EUR |
Gesamt |
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621,78 EUR |
Beispiel 33: Anrechnung der Geschäftsgebühr, Wert bis 4.000,00 EUR, Geschäftsgebühr voll bezahlt
Wie vorangegangenes Beispiel 32. Die außergerichtliche Vergütung hatte der Mandant bereits gezahlt.
Jetzt ist die Zahlung auf die Geschäftsgebühr nach § 58 Abs. 2 RVG zu berücksichtigen. Da sich hier keine Differenz zwischen Wahlanwalts- und Pflichtanwaltsgebühren ergibt, ist die Anrechnung des nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnenden Betrags in voller Höhe vorzunehmen. Der Anwalt erhält aus der Landeskasse im Ergebnis lediglich noch (1,3 – 0,75 =) 0,55 der Verfahrensgebühr.
1. |
1,3-Verfahrengsgebühr, Nr. 3100 VV, § 49 RVG |
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261,30 EUR |
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(Wert: 3.000,00 EUR) |
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2. |
gem. § 58 Abs. 2 RVG i.V.m. Vorbem. 3 Abs. 4 VV, § 13 RVG anzurechnen, 0,75 aus 3.000,00 EUR, § 13 RVG |
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– 150,75 EUR |
3. |
1,2- Terminsgebühr, Nr. 3104 VV, § 49 RVG |
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241,20 EUR |
|
(Wert: 3.000,00 EUR) |
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4. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
371,75 EUR |
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5. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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70,63 EUR |
Gesamt |
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442,38 EUR |
Beispiel 34: Anrechnung der Geschäftsgebühr, Wert bis 4.000,00 EUR, Geschäftsgebühr teilweise bezahlt
Wie vorangegangenes Beispiel 33. Auf die außergerichtliche Vergütung hatte der Mandant 250,00 EUR gezahlt.
Jetzt ist die Zahlung auf die Geschäftsgebühr zwar auch dem Grunde nach anzurechnen, aber nicht in voller Höhe.
Dem Anwalt fehlen vorgerichtlich noch 382,59 EUR – 250,00 EUR, also 132,59 EUR. Das sind netto 111,42 EUR. Von der halben Geschäftsgebühr bleiben also jetzt 111,42 EUR anrechnungsfrei. Anzurechnen sind nur 150,75 EUR – 111,42 EUR = 39,33 EUR.
1. |
1,3-Verfahrengsgebühr, Nr. 3100 VV, § 49 RVG |
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261,30 EUR |
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(Wert: 3.000,00 EUR) |
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2. |
anrechnungsfähig gem. § 58 Abs. 2 RVG i.V.m. |
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Vorbem. 3 Abs. 4 VV, 0,75 aus 3.000,00 EUR, § 13 RVG |
– 150,75 EUR |
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davon anrechnungsfrei (382,59 EUR – 250,00 EUR) |
111,42 EUR |
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– 39,33 EUR |
3. |
1,2- Terminsgebühr, Nr. 3104 VV, § 49 RVG |
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