Dr. Michael Thielemann, Dr. iur. Alexander Walter
aa) Ausgangslage
Rz. 354
Das Berufungsgericht weist die Berufung gem. § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO durch einstimmigen Beschluss unverzüglich zurück, wenn es davon überzeugt ist, dass:
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die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, |
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die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, |
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die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und |
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eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist. |
In diesem Fall muss das Berufungsgericht oder der Vorsitzende gem. § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinweisen und dem Berufungskläger binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme geben. Eine Berufungserwiderung muss nicht eingegangen und dem Berufungsbeklagten auch keine Frist zur Erwiderung gesetzt worden sein. Der Berufungskläger muss dann überlegen, ob und ggf. mit welchen tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen er das Berufungsgericht von der Berufungszurückweisung gem. § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO abbringen kann. Ob § 522 Abs. 2 ZPO Teilbeschlüsse zulässt, ist bisher höchstrichterlich nicht geklärt.
Rz. 355
Hinweis
Das Berufungsgericht muss Schriftsätze der Parteien, die zwar nach Ablauf der gem. § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO gesetzten Frist zur Stellungnahme, aber vor Erlass des die Berufung zurückweisenden Beschlusses eingehen, zur Kenntnis nehmen und jedenfalls daraufhin überprüfen, ob darin enthaltene Rechtsausführungen der beabsichtigten Verfahrensweise entgegenstehen und zu einem Eintritt in die mündliche Verhandlung veranlassen. Erlassen ist der Beschluss in dem Zeitpunkt, in dem das Gericht sich seiner in einer der Verkündung vergleichbaren Weise entäußert hat.
bb) Auseinandersetzung mit den Hinweisen
Rz. 356
Der Berufungskläger kann mit seiner Stellungnahme versuchen, das Berufungsgericht unter Beibehaltung des Tatsachenvortrages von seiner abweichenden Rechtsauffassung zu überzeugen. Der Umfang kann über die Ausführungen in der Berufungsbegründung hinausgehen, da das Berufungsgericht bei zulässiger Berufung nach § 529 Abs. 2 S. 2 ZPO an die geltend gemachten Berufungsgründe nicht gebunden ist.
Rz. 357
Hinweis
Die Stellungnahme zum Hinweis des Berufungsgerichts nach § 522 Abs. 2 ZPO ist mitunter zur Aufrechterhaltung der Rügemöglichkeit im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren zwingend. Wegen des Grundsatzes der Subsidiarität muss ein Gehörs- bzw. Grundrechtsverstoß durch das Berufungsgericht noch im Berufungsverfahren gerügt werden.
Rz. 358
Neben Rechtsausführungen kann der Berufungskläger auch seinen Tatsachenvortrag ergänzen, um eine andere rechtliche Bewertung durch das Berufungsgericht zu erreichen. Zugelassen sind Angriffs- und Verteidigungsmittel,
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die unstreitig bleiben, |
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die nicht als "neu" anzusehen sind, da sie das bisherige Vorbringen lediglich arrondieren, |
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die auf den im Hinweis nach § 522 Abs. 2 ZPO enthaltenen, nach § 139 ZPO gebotenen "Ersthinweis" vorgebracht werden, |
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die echte Noven darstellen, |
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die unechte Noven darstellen, die allerdings Anlass zur Wiederaufnahme des Verfahrens geben würden oder |
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die zu keiner Verzögerung des Rechtsstreits führen oder deren später Vortrag entschuldigt werden kann (§ 530 ZPO). |
Rz. 359
Schließlich kann zu den in § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 bis 4 ZPO geforderten verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für eine Zurückweisung der Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO Stellung genommen werden. Zu den Begrifflichkeiten der grundsätzlichen Bedeutung der Sache, der Fortbildung des Rechts und der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gilt das zu § 511 Abs. 4 ZPO Ausgeführte entsprechend (Rdn 45 ff.). Das Kriterium der gebotenen mündlichen Verhandlung hat in der Praxis keine nennenswerte Bedeutung erlangt. Der Gesetzgeber hält die mündliche Verhandlung für angezeigt, wenn die Rechtsverfolgung für den Berufungskläger existenzielle Bedeutung hat oder wenn das Urteil erster Instanz zwar im Ergebnis richtig, aber unzutreffend begründet ist. Hält das Berufungsgericht alle weiteren Voraussetzungen für eine Beschlussfassung nach § 522 Abs. 2 ZPO für gegeben, wird die alleinige Forderung nach einer mündlichen Verhandlung in der Praxis nur selten einen Erfolg – der dann nur in der Verhandlung, nicht aber in der Sache selbst liegt – versprechen.
cc) Anfechtbarkeit
Rz. 360
Nach § 522 Abs. 3 ZPO steht dem Berufungsführer (mit Wirkung vom 27.10.2011) gegen den Zurückweisungsbeschluss das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre. Er kann also eine Nichtzulassungsbeschwerde gem. § 544 ZPO einlegen, sofern der Wert einer (zuzulassenden) Revision eine geltend zu machende Beschwer von 20.000 EUR übersteigt (§ 26 Nr. 8 S. 1 EGZPO).
Rz. 361
Ist eine Nichtzulassungsbeschwerde mangels hinreichender Beschwer nicht eröffnet, bleibt nur die Möglichkeit einer Anhörungsr...