aa) Bedeutung der Anhörungsrüge für das Berufungsverfahren

 

Rz. 83

Ergeht ein nicht berufungsfähiges Urteil, kann die durch das Urteil beschwerte Partei den Prozess vor dem Gericht des ersten Rechtszugs fortführen, wenn eine Berufung nach § 511 Abs. 2 ZPO nicht zulässig ist und das Gericht des ersten Rechtszugs den Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Sie hat daher für ein Berufungsverfahren nur in zwei Fällen Bedeutung: Wenn auf die Anhörungsrüge eine Zulassung der Berufung erfolgt und wenn auf die Fortsetzung des Verfahrens nach Einlegung der Anhörungsrüge ein berufungsfähiges Urteil ergeht. Das Berufungsgericht hat die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts, aufgrund einer Anhörungsrüge das Verfahren fortzuführen, aber darauf zu überprüfen, ob die Anhörungsrüge statthaft, zulässig und begründet war.[143]

bb) Bedeutung der Anhörungsrüge für eine Verfassungsbeschwerde

 

Rz. 84

Die Erhebung der Rüge ist zur Vorbereitung einer Verfassungsbeschwerde erforderlich. Denn der Betroffene muss in Verfahren vor den Fachgerichten alle zumutbaren prozessualen Möglichkeiten ergreifen, um vermeintliche Grundrechtsverletzungen abzuwehren.[144] Unterlässt er die Rüge eines Verfahrensmangels, obgleich diese Rüge Voraussetzung für die verfahrensrechtlich vorgesehene Überprüfung einer Entscheidung ist, begibt er sich der Möglichkeit, einen etwaigen Grundrechtsverstoß später mit der Verfassungsbeschwerde zu rügen.[145] Allerdings kann eine Anhörungsrüge nicht erneut mit einer Anhörungsrüge angegriffen werden,[146] weshalb die – mitunter in der Praxis anzutreffende – vorsorgliche "Mehrfachrüge" nicht erforderlich ist. Andererseits muss bei einer Gehörsverletzung eine erneute Anhörungsrüge erfolgen, wenn das Verfahren aufgrund einer erfolgreichen (ersten) Anhörungsrüge nach Zurückversetzung fortgeführt worden und anschließend eine neue Sachentscheidung ergangen ist.[147] Der Lauf der Monatsfrist nach § 93 Abs. 1 S. 1 BVerfGG beginnt erst mit der Entscheidung, durch die die unzulässige Gehörsrüge verworfen wird.

 

Rz. 85

 

Hinweis

Die Monatsfrist zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde wird durch die Anhörungsrüge gem. § 321a ZPO aber nur dann offen gehalten, wenn die Anhörungsrüge nicht offensichtlich unzulässig war.[148]

[144] BVerfG NJW 2005, 3059 f.; Desens, NJW 2006, 1243,1246.
[146] BGH FamRZ 2017, 1947.
[147] RhPfVerfGH NJW 2018, 845.

cc) Dauer der Rügefrist

 

Rz. 86

Die Rüge ist binnen einer nicht verlängerbaren (§ 224 Abs. 2 ZPO) Notfrist von zwei Wochen einzulegen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist gem. § 233 ZPO möglich.

 

Rz. 87

Die Frist beginnt im Zeitpunkt der Kenntniserlangung von der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 321a Abs. 2 S. 1 ZPO). Grundsätzlich wird dieser Zeitpunkt nicht vor der Bekanntgabe der Entscheidungen anzusiedeln sein.

dd) Anwaltsgebühren

 

Rz. 88

Das Abhilfeverfahren gehört für den Rechtsanwalt zum Rechtszug und löst deshalb gem. § 19 Nr. 5 RVG keine zusätzliche Gebühr aus. Beschränkt sich die Tätigkeit des Rechtsanwaltes jedoch auf das Abhilfeverfahren, verdient er eine 0,5 Gebühr gem. §§ 2 Abs. 2, 13 RVG i.V.m. Nr. 3330 VV. Zusätzlich kann der Anwalt, der nur fürs Abhilfeverfahren beauftragt worden ist, gem. §§ 2 Abs. 2, 13 RVG i.V.m. Nr. 3332 VV eine 0,5 Terminsgebühr verdienen.

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