Dr. Michael Thielemann, Dr. iur. Alexander Walter
aa) Dauer der Berufungsfrist
Rz. 89
Die Berufungsfrist beträgt gem. § 517 ZPO einen Monat; sie ist eine Notfrist und nicht verlängerbar. Die nach Fristablauf eingelegte Berufung ist unzulässig und unterliegt der Verwerfung. Allerdings kommt bei Versäumung ein Wiedereinsetzungsantrag in Betracht (näher Rdn 198 ff.).
bb) Beginn der Berufungsfrist
Rz. 90
Die Berufungsfrist beginnt gem. § 517 Hs. 2 ZPO mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils. Die Amtszustellung des Urteils regelt § 317 ZPO. Danach ist die Erstzustellung einer beglaubigten Abschrift des (soweit nicht nach § 310 Abs. 3 ZPO eine Zustellung genügt: Zeitpunkt der letzten Zustellung maßgebend) verkündeten Urteils in vollständiger Form an den richtigen Zustellungsadressaten erforderlich. Seit dem 1.7.2014 ist Gegenstand der Zustellung nicht mehr die Ausfertigung des Urteils (hierzu Vorauflage § 16 Rn 80). Ausfertigungen werden nach § 317 Abs. 2 S. 1 ZPO nur noch auf Antrag und nur in Papierform erteilt. Hintergrund ist u.a., dass beglaubigte Abschriften – anders als Ausfertigungen – elektronisch versandt werden könne (§ 169 Abs. 4 S. 1 ZPO). Gemäß § 169 Abs. 3 S. 1 und 2 ZPO kann eine in Papierform zuzustellende Abschrift auch durch maschinelle Bearbeitung beglaubigt werden, wobei anstelle der handschriftlichen Unterzeichnung die Abschrift mit dem Gerichtssiegel zu versehen ist; die Siegelung lässt sich regelmäßig nur durch Vorlage der übersandten Abschrift überprüfen.
Rz. 91
Mitunter entsteht in der Praxis Streit darüber, ob und wann zugestellt wurde. Bei Zustellungsmängeln ist eine Heilung nach Maßgabe der Voraussetzungen des § 189 ZPO möglich: Danach gilt die Zustellung als erfolgt, sobald das in vollständiger Form abgefasste Urteil der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist. Bei der Zustellung an den Prozessbevollmächtigten nach § 172 ZPO erlangt das Empfangsbekenntnis Bedeutung. Allerdings kann die Zustellbestätigung auch anderweitig erfolgen. Bekundet der Anwalt in der Berufungsschrift, dass ihm das Urteil zugestellt worden sei, reicht dies, neben der Kenntnis von der Zustellungsabsicht der Geschäftsstelle des Gerichts, für den Vollzug der Zustellung an ihn aus.
Rz. 92
Grundsätzlich beginnt für jede Partei bzw. jeden Streitgenossen die Berufung separat mit der jeweiligen Zustellung (anders wenn nach § 310 Abs. 3 ZPO eine Zustellung genügt: Zeitpunkt der letzten Zustellung maßgebend). Auch die (nach § 170 Abs. 1 ZPO unwirksame) Zustellung an eine (unbekannt) prozessunfähige Partei setzt die Berufungsfrist in Gang. Für den Streithelfer ist die Berufungsfrist der unterstützen Partei maßgebend.
Rz. 93
Hinweis
Die Berichtigung eines Urteils nach § 319 ZPO wegen offenbarer Unrichtigkeit bleibt ohne Einfluss auf Beginn und Lauf der Berufungsfrist. Den Parteien wird zugemutet, bei ihrer Entscheidung über die Einlegung der Berufung eine offenbare Unrichtigkeit des Urteils zu berücksichtigen, schon bevor dieses gem. § 319 ZPO berichtigt wird. Nur ausnahmsweise beginnt eine neue Rechtsmittelfrist mit der Bekanntmachung des Berichtigungsbeschlusses zu laufen, nämlich dann, wenn das Urteil insgesamt nicht klar genug war, um die Grundlage für die Entscheidung über die Einlegung eines Rechtsmittels sowie für die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts zu bilden. Das ist etwa der Fall, wenn erst die berichtigte Entscheidung die Beschwer erkennen lässt oder ergibt, dass die Entscheidung überhaupt einem Rechtsmittel zugänglich ist.
Rz. 94
Wird das Urteil gar nicht oder nicht wirksam zugestellt, beginnt die Berufungsfrist gem. § 517 Hs. 2 ZPO fünf Monate nach Verkündung des Urteils. Die Bestimmung greift aber nicht, wenn die belastete Partei nicht vertreten und nicht ordnungsgemäß zum Termin geladen war und auch nicht auf andere Weise als durch Zustellung vom Urteil Kenntnis erlangt hat. Eine weitere, über den Wortlaut hinausgehende Beschränkung der Norm zugunsten von anwaltlich nicht vertretenen Ausländern ist auch aus Gründen der Rechtssicherheit nicht angezeigt. Fehlt es an einer wirksamen Urteilszustellung, beginnt daher auch für eine im Ausland wohnhafte, nicht anwaltlich vertretene Partei die Frist für die Einlegung der Berufung grundsätzlich fünf Monate nach Verkündung des Urteils zu laufen.
Rz. 95
Hinweis
Eine Besonderheit für den Beginn der Berufungsfrist enthält § 518 ZPO für Ergänzungsurteile: Wird innerhalb der Berufungsfrist ein Urteil durch Ergänzungsurteil gem. § 321 ZPO ergänzt, beginnt mit der Zustellung der nachträglichen Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist auch für die Berufung gegen das zuerst ergangene Urteil von neuem, falls sie bei Erlass des Ergänzungsurteils noch nicht abgelaufen war. Wird gegen beide Urteile von derselben Partei Berufung eingelegt, sind beide Berufungen gem. § 518 S. 2 ZPO zu verbinden.