Rz. 174

Gem. § 311b Abs. 4, 5 BGB können künftige gesetzliche Erben über den gesetzlichen Erbteil oder den Pflichtteil am Nachlass eines noch lebenden Dritten Vereinbarungen schließen. Derartige Verträge nennen sich üblicherweise Erbschaftsvertrag.[236] Ein solcher Vertrag bedarf der notariellen Beurkundung. Die Rechtsprechung hatte sich mit der Frage zu befassen, ob eine derartige Vereinbarung steuerpflichtig ist oder nicht. Die Problematik sei an folgendem Beispiel verdeutlicht:

 

Beispiel

A und B sind Brüder. Sie schließen einen Erbschaftsvertrag gem. § 311b Abs. 45 BGB, wonach A sich verpflichtet, auf seine zukünftigen Pflichtteilsrechte und -ansprüche am Nachlass beider Eltern zu verzichten. Im Gegenzug hierfür verpflichtet sich B, Grundbesitz an seinen Bruder A zu übereignen.

 

Rz. 175

Das FG München[237] war der Meinung, dass in einem solchen Sachverhalt keine Schenkungsteuerpflicht ausgelöst wird. Ein Fall des § 7 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG liege nicht vor, da das ErbStG sich am Zivilrecht orientiere und ein Vertrag gem. § 311b BGB daher nicht mit einem Pflichtteilsverzicht gem. §§ 2346 ff. BGB gleichgesetzt werden könne. Ebenso wenig liege eine unentgeltliche Zuwendung gem. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG vor. Es fehle an der Unentgeltlichkeit der Zuwendung. Leistung und Gegenleistung der Vereinbarung zwischen den Brüdern A und B seien in einem solchen Fall gegeneinander ausgewogen. Es habe sich um ein Wagnisgeschäft gehandelt. Kein Beteiligter habe dem anderen etwas unentgeltlich zuwenden wollen. Dem ist der BFH in 2001 entgegengetreten.[238]

 

Rz. 176

Nach Meinung des höchsten deutschen Steuergerichts liegt ein schenkungsteuerpflichtiger Vorgang gem. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG vor. Der die Geldzahlung empfangende Geschwisterteil sei endgültig durch die Zahlung bereichert. Die Zahlung sei freigebig erfolgt, weil der zahlende Bruder dem anderen gegenüber rechtlich nicht zu einer Zahlung verpflichtet gewesen sei. Ein Anspruch auf den Pflichtteil oder auf Pflichtteilsergänzung habe dem Bruder am maßgeblichen Stichtag der Vereinbarung nach § 311b BGB (früher: § 312b BGB) nicht zugestanden.[239] Die Zahlung des Bruders sei somit nicht auf eine Forderung erfolgt. Evtl. zukünftig erst entstehende Forderungsrechte in Form von Pflichtteilsansprüchen oder Pflichtteilsergänzungsansprüchen hätten im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses keinen geldwerten Vermögenswert dargestellt, sondern allenfalls eine Erwerbschance. Der Wille zur Freigebigkeit, also das subjektive Element des Steuertatbestands, sei ebenfalls anzunehmen, weil der zuwendende Bruder sich bewusst gewesen sei, dass er seine Leistung ohne rechtlichen Zusammenhang mit einer Gegenleistung bzw. ohne rechtliche Verpflichtung erbringt.[240]

 

Rz. 177

 

Praxishinweis

Trotz Fehlens eines speziellen Tatbestands für die Besteuerung von Zuwendungen aufgrund eines Erbschaftsvertrages sind diese erbschaftsteuerpflichtig.

 

Rz. 178

Der Steuerpflicht stehe auch nicht die Regelung des § 7 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG entgegen. Nach dieser Vorschrift gilt als Schenkung unter Lebenden, was als Abfindung für einen Erbverzicht (§ 2346 BGB) oder Zuwendungsverzicht (§ 2352 BGB) gewährt wird. Ein argumentum e contrario sei nicht zulässig. Der Umstand, dass diese Vorschrift Abfindungen bei Verträgen nach § 311b BGB (früher: § 312 BGB) nicht erwähne, sei unschädlich. Die Regelung sei nicht abschließend. Der BFH leitet dieses Ergebnis insbesondere aus der Entstehungsgeschichte des § 7 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG her.

[236] Vgl. zu den zivilrechtlichen Voraussetzungen und Folgen die grundlegende Kommentierung von Staudinger/Wufka, § 312 BGB Rn 19 ff. sowie MüKo-BGB/Krüger, § 311b Rn 107 ff.; Limmer, DNotZ 1998, 927 ff.; zu einem Einzelproblem des § 312 Abs. 1 BGB vgl. Kulke, ZEV 2000, 298 ff.
[237] FG München v. 7.7.1997 – 4 K 2747/93, EFG 1997, 1525 = ZEV 1998, 237; zustimmend Meincke, ZEV 2000, 214; vgl. dazu auch Högl, UVR 1997, 369.
[238] BFH v. 25.1.2001 – II R 22/98, BStBl II 2001, 456 = BFH/NV 2001, 705 = BB 2001, 614 = DB 2001, 846 = StB 2001, 9 = MittBayNot 2001, 416 = ZErb 2001, 102; vgl. dazu u.a. Crezelius, ZErb 2002, 142; Griesel, in: Daragan/Halaczinsky/Riedel, Praxiskommentar ErbStG und BewG, § 7 ErbStG Rn 129; Wälzholz, MittBayNot 2001, 361 ff.; Stöckel, NWB Fach 10, S. 1241 ff.; kritisch hingegen Paus, NWB Fach 10, S. 1367, 1370 f.
[239] Die Argumentation des BFH ist an dieser Stelle angreifbar. Der BFH begründet, eine Zahlungsverpflichtung habe vor Vertragsabschluss nach § 312 BGB nicht bestanden. Diese Argumentation geht jedoch fehl. Stellt man hinsichtlich einer rechtlichen Verpflichtung auf den Zeitpunkt vor Abschluss des Vertrages ab, so wäre auch ein echter Kauf zwischen Fremden und Dritten eine Schenkung i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Denn vor Abschluss des Kaufvertrages waren auch in diesem Fall beide Beteiligten nicht zur Erbringung ihrer Leistung verpflichtet.

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