Rz. 196

Problematisch sind ferner die Fälle, in denen ein Bezug zu Deutschland besteht, aber der Erblasser nicht deutscher Staatsangehöriger ist und insofern (z.B. aufgrund der Rechtswahl nach der EUErbVO) nicht das deutsche Pflichtteilsrecht eingreift, sondern nach ausländischem Erbrecht ausländisches Pflichtteilsrecht zur Anwendung kommt.

 

Beispiel

Erblasser E ist im Zeitpunkt seines Todes österreichischer Staatsangehöriger und lebt, ebenso wie seine Frau und seine Kinder, in Deutschland. Er hat Vermögen in Deutschland und seinem Heimatstaat. Als E verstirbt, steht den Kindern aufgrund seiner im Testament getroffenen Rechtswahl zugunsten des österreichischen Rechts nur der "Pflichtteil" nach dem Heimatrecht des Erblassers zu. Es fragt sich, wie das "Pflichtteilsrecht" der Kinder nach deutschem Recht zu besteuern ist.

 

Rz. 197

Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG liegt ein Fall uneingeschränkter deutscher Erbschaftsteuerpflicht vor, da sowohl die Erwerber als auch der Erblasser den Wohnsitz in Deutschland haben bzw. hatten. Die Besonderheit des geschilderten Beispiels besteht jedoch darin, dass kein deutsches Pflichtteilsrecht gem. §§ 2303 ff. BGB besteht. Denn der Erblasser ist österreichischer Staatsangehöriger und durfte demgemäß in seinem Testament die Anwendung des österreichischen Rechts anordnen. Diese Rechtswahl umfasst auch das Pflichtteilsrecht. In derartigen Fällen ist zu untersuchen, inwieweit die in § 3 ErbStG aufgeführten erbrechtlichen Vorgänge den nach ausländischem Recht verwirklichten Sachverhalten entsprechen.[256]

 

Rz. 198

Sind die ausländischen Rechtsinstitute den deutschen vergleichbar oder gar mit ihnen identisch, so sind die entsprechenden deutschen Regelungen auch auf die nach ausländischem Recht verwirklichten Sachverhalte uneingeschränkt anwendbar. Fehlt es an einer entsprechenden Vergleichbarkeit, so sind die nach ausländischem Recht vorgegebenen Rechtsinstitute nach Maßgabe ihrer wirtschaftlichen Bedeutung an die deutschen Vorschriften anzupassen. Soweit mehrere Möglichkeiten der Besteuerung bestehen, ist die für die Beteiligten günstigere Variante zu wählen.[257] "Richtet sich die Nachlassfolge nach ausländischem Recht", meint der BFH in seinem Urt. v. 12.5.1970,[258] "so ist, sofern die Institutionen des ausländischen Erbrechts denen des deutschen Rechts nicht entsprechen, für die Erbschaftsbesteuerung nicht die formale Gestaltung des ausländischen Rechts maßgebend, sondern die wirtschaftliche Bedeutung dessen, was das ausländische Recht für den Einzelfall vorschreibt." Kennt demnach die anwendbare ausländische Rechtsordnung ein dem deutschen Pflichtteilsrecht vergleichbares Rechtsinstitut, so sind die § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 2 Nr. 4, § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b und f, § 10 Abs. 5 Nr. 2 und 3, § 13 Abs. 1 Nr. 11, § 7 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG entsprechend anzuwenden. Für das Beispiel folgt daraus: Da das österreichische Pflichtteilsrecht dem deutschen im Wesentlichen entspricht,[259] haben die Kinder ihren Erwerb nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 ErbStG in Deutschland zu versteuern. Gleiches gilt für das Pflicht(Not-)erbrecht, das manche ausländische Rechtsordnungen kennen, auch wenn es nicht nur einen Baranspruch gewährt.

[256] Weinmann, in: Moench/Weinmann, ErbStG, § 2 Rn 3.
[257] Vgl. wiederum Weinmann, in: Moench/Weinmann, ErbStG, § 2 Rn 3; BFH v. 12.5.1970 – II R 52/64, BStBl II 1972, 462.
[258] BFH v. 12.5.1970 – II R 52/64, BStBl II 1972, 462.
[259] Vgl. Ferid/Firsching/Wirner, Internationales Erbrecht – Österreich Grdz. Rn 101; Riering/Bachler, DNotZ 1995, 580, 596.

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