Rz. 67

Von den Fällen der Geltendmachung des Pflichtteils i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 ErbStG sind die Fälle des Pflichtteilvermächtnisses zu unterscheiden.[96] Lediglich beim Pflichtteil hat der Gesetzgeber die Privilegierung vorgesehen, dass der Pflichtteilsberechtigte über seine Steuerpflicht selbst entscheiden kann. Macht er den Pflichtteil geltend, so hat er diesen in voller Höhe zu versteuern und zwar grundsätzlich unabhängig vom Zeitpunkt der tatsächlichen Zahlung. Beim Vermächtnis liegen die Dinge dagegen anders. In diesem Fall entsteht der Steueranspruch vielmehr unmittelbar mit dem Anfall des Vermächtnisses.[97] Eine Hinauszögerung der Entstehung der Erbschaftsteuerpflicht ist hier daher nicht möglich. Dies ist vor allem bei der Erbschaftsteuerplanung und der Testamentserrichtung zu berücksichtigen. Dies ist ein wesentlicher Nachteil des Pflichtteilsvermächtnisses gegenüber dem eigentlichen Pflichtteilsanspruchs.[98] Dieser Nachteil ist aber gleichzeitig auch Vorteil: Es bedarf keiner Geltendmachung, so dass diese auch nicht vergessen werden kann.[99]

 

Rz. 68

 

Praxishinweis

Die klarstellende Erwähnung in einem Testament, dass ein bestimmter naher Angehöriger ausdrücklich enterbt wird bzw. nur den Pflichtteil erhalten soll, kann u.U. gerade bei privatschriftlichen Testamenten sinnvoll sein, um den Einwand zu vermeiden, der Testierende habe den Pflichtteilsberechtigten bloß vergessen und übersehen. Dies kann jedoch die erbschaftsteuerliche Flexibilität des § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 ErbStG für den Pflichtteilsanspruch gefährden. Klarstellend ist daher anzuordnen, dass hierin weder eine quotale Erbeinsetzung (§ 2304 BGB) zu sehen ist noch ein Vermächtnis.

 

Rz. 69

Die vorstehende Problematik der frühzeitigen Entstehung des Pflichtteilsvermächtnisses lässt sich auch durch entsprechende Testamentsgestaltung lösen. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG entsteht die Erbschaftsteuer aus bedingten, betagten[100] oder befristeten Erwerben erst mit dem Eintritt des Tages oder des Ereignisses. Ein Pflichtteilsvermächtnis kann daher so ausgesetzt werden, dass der Vermächtnisanspruch beispielsweise erst mit dem Ablauf von 15 Jahren nach dem Eintritt des Todes des Erblassers anfällt. Dann ist auch die Steuerentstehung beim Pflichtteilsberechtigten so lange ausgesetzt – allerdings auch die Abziehbarkeit des Vermächtnisses beim Erben. Letzteres ist häufig so nicht gewollt. Gleichzeitig wird durch die Anknüpfung an eine feste Frist anstelle des Ablebens des Längerlebenden die Anwendung des § 6 Abs. 4 ErbStG vermieden.[101] Die sofortige Abziehbarkeit der Vermächtnislast beim Erben lässt sich hingegen erreichen, indem das Vermächtnis sofort anfällt und nur die Fälligkeit hinausgeschoben wird.[102]

 

Rz. 70

 

Formulierungsvorschlag: Barvermächtnis mit Ersetzungsbefugnis

Der Erbe wird mit folgendem Vermächtnis belastet: Er hat an den Pflichtteilsberechtigten ein Barvermächtnis in Höhe des gesetzlichen Pflichtteils auszuzahlen. Der Erbe kann nach seiner Wahl anstelle eines Barbetrages auch andere Sachen, insbesondere Grundbesitz, hingeben.[103] Das Vermächtnis fällt 15 Jahre nach seinem Tode an; es ist bis dahin unverzinslich.[104] Ersatzvermächtnisnehmer sind dessen Abkömmlinge nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge. Der Vermächtnisnehmer hat die Kosten der Vermächtniserfüllung sowie eine ggf. darauf entfallende Erbschaftsteuer zu tragen.

 

Rz. 71

Der Pflichtteilsberechtigte hat in einem solchen Fall freilich die Möglichkeit, nach § 2307 BGB das Vermächtnis auszuschlagen und den Pflichtteil zu verlangen. Der entscheidende zivilrechtliche Unterschied zwischen Vermächtnis und Pflichtteil bei der Verjährung ist durch die Erbrechtsreform mit Wirkung für Todesfälle ab dem 1.1.2010 weitgehend eingeebnet worden, da für beide Ansprüche nun eine dreijährige Verjährungsfrist gilt,[105] wenn auch mit etwas unterschiedlichem Fristbeginn.

[96] BGH v. 7.7.2004 – IV ZR 135/03, NotBZ 2004, 391 m. Anm. Süß. Vgl. zu den unterschiedlichen Auswirkungen auch Muscheler, ZEV 2001, 377, 378; Crezelius, BB 2000, 2333, 2334.
[97] Kapp/Ebeling, ErbStG, § 3 Rn 213.6.
[98] Ebenso Muscheler, ZEV 2001, 377, 378; Moench, in: Moench/Weinmann, ErbStG, § 3 Rn 118 a.E.
[99] Vgl. Brambring, ZEV 2002, 137.
[100] Zur strittigen Auslegung des Begriffs "Betagung" vgl. Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 9 Rn 42 m.w.N.
[101] Ebenso Weinmann, in: Moench/Weinmann, ErbStG, § 6 Rn 41; vgl. auch J. Mayer, ZEV 1998, 50, 54 (zu § 42 AO und den Grundsätzen der sicheren Bemessung der Dauer der Frist); Kapp/Ebeling, ErbStG, § 3 Rn 52. Möglich wäre grds. stattdessen auch die Anordnung einer Auflage, die nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht unter § 6 Abs. 4 ErbStG fällt, vgl. Daragan, ZErb 1999, 2; ders., DStR 1999, 393.
[102] J. Mayer, ZEV 1998, 50, 56.
[103] Vgl. zu den Wirkungen eines solchen Wahlvermächtnisses BFH v. 6.6.2001 – II R 14/00, ZEV 2001, 452 m. Anm. Wälzholz; J. Mayer, ZEV 1998, 50, 56 f.
[104] Durch das Hinausschieben des Anfalls anstelle des Hinausschiebens der Fäll...

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