Rz. 91

Problematisch sind die Fälle, in denen sich im Nachlass Gegenstände befinden, die nach § 13 ErbStG steuerbefreit sind. Gem. § 10 Abs. 6 S. 1 ErbStG sind Lasten nicht abzugsfähig, die in wirtschaftlichem Zusammenhang mit Vermögensgegenständen stehen, die nicht der Besteuerung nach dem ErbStG unterliegen. Dies mag das folgende Beispiel verdeutlichen:

 

Beispiel

A ist Alleinerbe des B, der seinen Sohn S enterbt hat. Im Nachlass des B befindet sich Grundbesitz, der nach § 13 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG von der Steuer befreit ist. Sein Wert macht 50 % des Nachlasswertes aus (nach Verkehrswerten bemessen). Als S seinen Pflichtteil geltend macht, stellt sich die Frage, ob A nach § 10 Abs. 6 S. 1 ErbStG daran gehindert ist, den vollen Pflichtteil steuerlich erwerbsmindernd geltend zu machen.

 

Rz. 92

A hat im Beispiel aufgrund der Steuerbefreiung des § 13 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG nur die Hälfte seines Erwerbs der Erbschaftsteuer unterwerfen müssen. Insofern ist es nur konsequent, wenn er auch von seinen Lasten und Verbindlichkeiten nur die Hälfte erwerbs- und steuermindernd bei der Steuer geltend machen kann. Dies regelt § 10 Abs. 6 S. 1 ErbStG.[139] Die Voraussetzung, dass eine Last mit einem steuerfreien Erwerb in Zusammenhang steht, war bei Pflichtteilsansprüchen nach überwiegender Auffassung stets erfüllt,[140] sofern es um einen Nachlassgegenstand geht. Denn der Pflichtteil errechnete sich grundsätzlich aus dem Gesamtnachlass und steht damit im wirtschaftlichen Zusammenhang mit allen Vermögensgegenständen des Nachlasses. Dagegen hat sich nunmehr der BFH in seinen Urteilen vom 22.7.2015 gewandt.[141] Für den Fall, dass zum Nachlass ein Anteil an einer Kapitalgesellschaft i.S.v. § 13a ErbStG gehört, erlaubt der BFH trotzdem den Abzug des Pflichtteils in vollem Umfang bei dem Erben. Denn der Pflichtteilsanspruch steht nach Auffassung des Gerichts ebenso wenig in wirtschaftlichem Zusammenhang mit den einzelnen Nachlassgegenständen wie die anderen allgemeinen Nachlassverbindlichkeiten. Der allenfalls bestehende rechtliche Zusammenhang zwischen Erbe und Pflichtteil genügt nicht für eine Kürzung der Nachlassverbindlichkeiten. Die Finanzverwaltung hat sich zwischenzeitlich dieser Ansicht angeschlossen und die Entscheidungen des BFH für allgemein anwendbar erklärt. Durch diese positive Entwicklung in der Rechtsprechung entfallen auch die weiteren Folgeprobleme, die mit der Wertrelation und dem Umfang der Kürzung des Pflichtteils als Nachlassverbindlichkeit in Verbindung standen.[142] Zukünftig kommt stets ein uneingeschränkter Abzug des Pflichtteils als Nachlassverbindlichkeit in Betracht.

 

Rz. 93

Soweit sich im Nachlass lediglich Wirtschaftsgüter befinden, die nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG von der Erbschaftsteuer befreit sind, so wurde hierauf das Abzugsverbot des § 10 Abs. 6 ErbStG schon vor den positiven Entscheidungen des BFH aus dem Jahr 2015 nicht angewandt, da insoweit lediglich Freibeträge angewandt werden, aber keine vollständige Steuerbefreiung vorliege.[143]

 

Rz. 94

Besonderheiten hinsichtlich der Abzugsfähigkeit des Pflichtteilsanspruchs gelten, wenn sich Betriebsvermögen im Nachlass befindet. Diese Problematik ist in § 10 Abs. 6 S. 4 und 5 ErbStG normiert.[144]

[139] Schuck, in: Viskorf/Schuck/Wälzholz, ErbStG, § 10 Rn 142.
[140] RE 10.10 (2) ErbStR (2011); Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 10 Rn 249; Wilms/Herrmann/A. Michel, ErbStG, § 10 Rn 167; vgl. auch BFH v. 21.7.1972 – III R 44/70, BStBl II 1973, 3 ff.; a.A. Meincke, ZEV 2006, 199 ff.
[141] II R 12/14, BStBl II 2016, 230 und II R 15/14, BFH/NV 2015, 1584..
[142] Vgl. dazu FG Rheinland-Pfalz v. 3.6.2004 – 4 K 2085/01, rkr., DStRE 2004, 1157; Schuck, in: Viskorf/Schuck/Wälzholz, ErbStG, § 10 Rn 142; Berechnungsbeispiel H 31 a.F.
[143] RE 10.10 (3) ErbStR (2011).
[144] Siehe dazu Wälzholz, ZEV 2009, 435 ff.; FG Rheinland-Pfalz v. 3.6.2004 – 4 K 2085/01, rkr., DStRE 2004, 1157; RE 10.10 (4) ErbStR (2011).

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge