Rz. 88
Für die Bewertung der Leistung, die dem Ergänzungsanspruch unterliegt, kommt es bei verbrauchbaren Sachen gemäß § 2325 Abs. 2 S. 1 BGB auf den Zeitpunkt der Zuwendung an.
Rz. 89
Unter verbrauchbaren Sachen (§ 92 BGB) versteht man diejenigen Gegenstände, deren Existenz von einer Zeitdauer abhängt (z.B. ein wertvolles Rennpferd). Als verbrauchbare Sache wird aber auch das Geldgeschenk angesehen, wobei nach Ansicht des BGH die Geldentwertung nach dem Verbraucherpreisindex auszugleichen ist. Auch der schenkweise Erlass von Schulden wird wie eine verbrauchbare Sache behandelt und mit dem damaligen Wert berücksichtigt. Bei verbrauchbaren Sachen ist es darüber hinaus unerheblich, ob die Zuwendung zwischenzeitlich verbraucht wurde oder verloren gegangen ist.
Rz. 90
Für andere, nicht verbrauchbare Gegenstände, meist Immobilien, gilt das sogenannte Niederstwertprinzip des § 2325 Abs. 2 S. 2 BGB. Für die Ermittlung des Wertes nach dem Niederstwertprinzip ist der Wert des Gegenstands an zwei Stichtagen festzustellen, nämlich
▪ |
zum Zeitpunkt der Schenkung und |
▪ |
zum Zeitpunkt des Erbfalls. |
Rz. 91
Der niedrigere Wert ist dann für die Berechnung des Ergänzungsanspruchs maßgebend. Hierbei ist so vorzugehen, dass zunächst der Wert des Gegenstands zum Zeitpunkt der Schenkung ermittelt wird. Dieser ist dann anhand des Verbraucherpreisindexes auf den Zeitpunkt des Erbfalls zu indexieren. Danach ist er mit dem Wert des Gegenstands zum Zeitpunkt des Erbfalls zu vergleichen. Der niedrigere Wert ist für den Pflichtteilsergänzungsanspruch maßgebend.
Rz. 92
Die Feststellung des Wertes nach dem Niederstwertprinzip bereitet jedoch dann Schwierigkeiten, wenn die Schenkung unter Vorbehalt von Nutzungsrechten, beispielsweise unter Nießbrauchsvorbehalt erfolgte. Hier bestehen in der Rechtsprechung und in der Literatur unterschiedliche Auffassungen, ob und wie der Nießbrauch zu berücksichtigen ist.
Rz. 93
Der BGH lässt bei der Feststellung des Niederstwertes den Nießbrauch (die vorbehaltene Leistung) zunächst außer Betracht. Ergibt die Ermittlung des Niederstwertes, dass der Wert des Gegenstands zum Zeitpunkt der Schenkung maßgebend ist, wird in einem zweiten Schritt für die konkrete Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs der Wert der Zuwendung unter Berücksichtigung des Nießbrauchs ermittelt. Ist dagegen der Wert des Gegenstands zum Zeitpunkt des Erbfalls maßgebend, so bleibt der Nießbrauch unberücksichtigt. Gleiches hat der BGH auch für die Einräumung eines Wohnungsrechts entschieden.
Rz. 94
Anders hingegen die überwiegende Literatur, wobei die einzelnen vertretenen Ansichten stark differieren. Auch einige Obergerichte haben sich in der Vergangenheit gegen die Rechtsprechung des BGH ausgesprochen.
Rz. 95
Die Rechtsprechung des BGH zum Niederstwertprinzip kann aber gleichwohl als gefestigt angesehen werden, zumal der BGH seine Rechtsprechung in einer Entscheidung vom 8.3.2006 ausdrücklich bestätigt hat.
Hinweis
Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Wert einer nicht verbrauchbaren Sache zum Zeitpunkt der Schenkung niedriger war als bei Eintritt des Erbfalls, trägt der Erbe und nicht der Pflichtteilsberechtigte.
Rz. 96
Beispiel
Erblasser E überträgt im März 2008 an sein Kind K2 ein Grundstück unter Vorbehalt eines lebenslänglichen unentgeltlichen Nießbrauchs. K2 wird Alleinerbe. E verstirbt im März 2017, also neun Jahre nach der Übertragung. Der kapitalisierte Wert des Nießbrauchs beträgt 2008 97.000 EUR, der Grundstückswert zum Zeitpunkt der Schenkung 170.000 EUR, zum Zeitpunkt des Todes 200.000 EUR. K1 macht seinen Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend.
Der für den Pflichtteilsergänzungsanspruch maßgebliche Wert berechnet sich wie folgt:
Der Wert des Grundstücks zum Zeitpunkt des Erbfalls beträgt |
200.000 EUR |
Der um den Geldwertverfall bereinigte Wert des Grundstücks zum Zeitpunkt der Schenkung beträgt (170.000 EUR : 98,3 × 109,0 = 188.505 EUR) |
188.505 EUR |
Im vorliegenden Fall ist somit der Wert des Grundstücks zum Zeitpunkt der Schenkung maßgebend. Es ist nun in einem nächsten Schritt der konkrete Wert des Grundstücks für den Pflichtteilsergänzungsanspruch zu ermitteln.
Wert des Grundstücks zum Zeitpunkt der Schenkung |
170.000 EUR |
abzüglich Wert des kapitalisierten Nießbrauchs |
97.000 EUR |
verbleiben |
73.000 EUR |
inflationsbereinigt (73.000 EUR : 98,3 × 109,0) |
80.946 EUR |
Der Wert der Schenkung beträgt somit 80.946 EUR. Hieraus errechnet sich der Pflichtteilsergänzungsanspruch. Dieser beträgt ¼ von 80.946 EUR = 20.237 EUR.