Rz. 97
Gemäß § 2325 Abs. 3 S. 1, 2 BGB sind grundsätzlich nur solche Schenkungen ergänzungspflichtig, die innerhalb von zehn Jahren vor dem Erbfall erfolgten. Für Erbfälle ab dem 1.1.2010 sieht das Gesetz dabei in § 2325 Abs. 3 S. 1 BGB statt dem früher geltenden Alles-oder-Nichts-Prinzip eine Abschmelzung vor: Für jedes Jahr, das zwischen Schenkung und Erbfall vergeht, wird die Schenkung 10 % weniger berücksichtigt.
Rz. 98
Fraglich ist, ab welchem Zeitpunkt die Frist zu laufen beginnt, da der in § 2325 Abs. 3 S. 2 BGB genannte Zeitpunkt der "Leistungserbringung" ein durchaus dehnbarer Begriff ist. In Betracht kommen kann hier die bloße Leistungshandlung, aber auch der Leistungserfolg.
Rz. 99
Der BGH stellt grundsätzlich bei Mobilien und Immobilien auf den tatsächlichen Eigentumserwerb ab. Darüber hinaus hat der BGH die Zehnjahresfrist dahingehend erweitert, dass auch diejenigen Schenkungen, die nicht endgültig aus dem wirtschaftlichen Vermögensbereich des Erblassers ausgegliedert wurden und bei denen sozusagen ein "Genussverzicht" nicht vorliegt, der Pflichtteilsergänzung unterliegen.
Rz. 100
Nach einer Entscheidung des OLG Düsseldorf soll auch dann keine Leistung vorliegen, wenn sich der Übergeber bei der Übertragung von Grundbesitz Rückforderungsrechte vorbehält, die im Grundbuch durch eine Vormerkung gesichert werden. Diese Ansicht überzeugt jedoch für den Vorbehalt tatbestandlich näher umschriebener Rückforderungsrechte nicht, da die Nutzungen trotz des Rückforderungsrechts dem Beschenkten zustehen und der Übergeber sein Zugriffsrecht durch den Eigentumsübergang aufgegeben hat. Eine wirtschaftliche Ausgliederung ist nur dann zu verneinen, wenn sich der Übergeber ein freies, nicht an das Vorliegen bestimmter Voraussetzungen geknüpftes Rückforderungsrecht vorbehalten hat. Hierfür spricht auch die Entscheidung des BGH vom 29.6.2016, der einen Anlauf der Frist des § 2325 Abs. 3 S. 2 BGB trotz Vereinbarung eines näher umschriebenen Rückforderungsrechts bejaht hat, ohne auf den Umstand einzugehen, dass das Rückforderungsrecht im konkreten Fall nicht durch eine Rückauflassungsvormerkung abgesichert worden war.
Rz. 101
Stellt der Verzicht des Erblassers auf eine ihm zustehende Rente eine Schenkung dar, dann beginnt die Frist mit dem Zeitpunkt, in dem der Erblasser uneingeschränkt auf seinen Anspruch verzichtet. Bei Verträgen zugunsten Dritter ist für den Fristbeginn zumindest dann auf den Erbfall abzustellen, wenn der Erblasser sich die Verfügungsfreiheit vorbehalten hat. Bei Grundstücken ist auf den Zeitpunkt der Eintragung im Grundbuch abzustellen.
Rz. 102
Während man bei Schenkungen unter Ehegatten davon ausgeht, dass der Schenker weiterhin im Genuss des Schenkungsgegenstands bleibt und § 2325 Abs. 3 S. 3 BGB den Fristbeginn bereits von Gesetzes wegen bis zur Auflösung der Ehe hinausschiebt, hat der BGH weitere Fallgruppen gebildet, in denen die Frist ebenfalls nicht zu laufen beginnt. So beispielsweise für die Schenkung unter Nießbrauchsvorbehalt.
Rz. 103
Der BGH hat in seinem Urt. v. 27.4.1994 ausgeführt, dass eine Leistung i.S.d. § 2325 Abs. 3 S. 1 BGB nur dann vorliegt, wenn der Erblasser nicht nur seine Rechtsstellung als Eigentümer endgültig aufgibt, sondern auch darauf verzichtet, den verschenkten Gegenstand im Wesentlichen weiter zu nutzen, sei es aufgrund Vorbehalts seiner dinglichen Rechte oder durch Vereinbarung schuldrechtlicher Ansprüche.
Rz. 104
Behält sich der Erblasser bei der Schenkung eines Grundstücks den Nießbrauch uneingeschränkt vor (Vorbehaltsnießbrauch), so gibt er den "Genuss" des verschenkten Gegenstands nicht auf. Eine "Leistung" i.S.v. § 2325 Abs. 3 S. 2 BGB im Hinblick auf den verschenkten Gegenstand liegt daher trotz Umschreibung im Grundbuch nicht vor. Die Frist des § 2325 Abs. 3 S. 1, 2 BGB beginnt nicht zu laufen. Verzichtet der Erblasser aber im Wesentlichen auf die vorbehaltene Nutzung des verschenkten Gegenstands, dann liegt darin auch ein Genussverzicht und die Frist kann zu laufen beginnen.
Rz. 105
Nicht entscheidend ist in diesem Zusammenhang, ob der Wert des Vorbehaltsnießbrauchs dem des Grundstücks entspricht, denn anders als bei der Bewertung nach dem Niederstwertprinzip kommt es hier im Rahmen der Frist des § 2325 Abs. 3 BGB nicht zu einer Aufteilung in einen entgeltlichen und einen unentgeltlichen Teil. D.h., die Frist beginnt entweder für das gesamte Grundstück zu laufen oder nicht. Nicht richtig ist es, wenn man annimmt, dass die Frist in Bezug auf den unentgeltlichen Teil zu laufen beginnt, bezüglich des entgeltlichen Teils (in Höhe des Vorbehaltsnießbrauchs) aber nicht. Die Frage der Bewertung des Grundstücks nach § 2325 Abs. 2 BGB darf nicht mit der Frage nach dem Fristbeginn i.S.v. § 2325 Abs. 3 S. 1, 2 BGB verwechselt werden. Beide Absätze regeln unterschiedliche Tatbestände.
Rz. 106
Inwieweit ein – gegebenenfalls nur auf einzelne Gebäudeteile beschränktes – Wohnungsrecht den Lauf der Frist hemmt ...