Rz. 55
Die Feststellung des Nachlasswertes bereitet dem Anwalt in der Praxis erhebliche Schwierigkeiten. In manchen Fällen ist die exakte Bestimmung des Wertes auch nicht möglich. Während das Steuerrecht durch das BewG eine umfangreiche Unterstützung bietet, mangelt es im zivilrechtlichen Bereich an solchen Vorschriften.
Die Zentralnorm im BGB für die Wertbestimmung ist § 2311 Abs. 1 S. 1 BGB. Maßgeblich sind der Bestand und der gemeine Wert der Nachlassgegenstände zum Zeitpunkt des Erbfalls. Bestimmungen des Erblassers sind insoweit unverbindlich (§ 2311 Abs. 2 S. 2 BGB). Die Wertermittlung erfolgt nach dem Stichtagsprinzip. Nachträgliche Wertsteigerungen oder Wertminderungen müssen deshalb außer Betracht bleiben. Eine bestimmte Bewertungsmethode ist hierbei, mit Ausnahme des § 2312 BGB, nicht vorgeschrieben.
Rz. 56
Der Pflichtteilsberechtigte ist wirtschaftlich so zu stellen, als sei der Nachlass beim Tod des Erblassers in Geld umgesetzt worden. Daher ist grundsätzlich auf den gemeinen Wert abzustellen, der dem Verkaufswert (Verkehrswert) entspricht. Eine bestimmte Methode der Wertberechnung ist im BGB nicht vorgeschrieben. Sie obliegt, wie Mayer zutreffend festgestellt hat, dem Ermessensspielraum der Gerichte.
Rz. 57
Vorrangig gilt eine Bewertung, die sich an einen tatsächlichen Verkauf des zu bewertenden Nachlassgegenstands anlehnen kann. § 2311 Abs. 2 S. 1 BGB bestimmt aber, dass der Wert des Nachlassgegenstands im Zweifel zu schätzen, gegebenenfalls durch Sachverständigengutachten zu ermitteln ist.
Rz. 58
Die Schätzung ist nach gefestigter Rechtsprechung des BGH aber dann nachrangig, wenn der Nachlassgegenstand zeitnah nach dem Erbfall veräußert wurde. Der BGH begründet dies damit, dass jede Schätzung mit einem Unsicherheitsfaktor belastet ist und es deshalb im erbrechtlichen Bewertungsrecht nicht sachgerecht ist, die "gesicherte Ebene" des tatsächlich erzielten Verkaufserlöses außer Acht zu lassen. Anderes gilt jedoch dann, wenn der Verkaufserlös nicht dem tatsächlichen Wert zum Zeitpunkt des Erbfalls entspricht, was vom Pflichtteilsberechtigten darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen ist. Wann eine Veräußerung zeitnah ist und somit als Bewertungsmaßstab dienen kann, liegt im richterlichen Ermessen. Grundstücks- und Betriebsveräußerungen von bis zu einem Jahr nach dem Erbfall werden vom BGH als zeitnah angesehen. In Ausnahmefällen, wenn die Marktverhältnisse sich nicht wesentlich verändert haben, kann auch ein Verkaufserlös, der fünf Jahre nach dem Erbfall erzielt wurde, ausschlaggebend sein.
Rz. 59
Gehört zum Nachlass eine Miteigentumshälfte an einer Immobilie, ist zur Berechnung des Pflichtteilsanspruchs der hälftige Wert des Gesamtobjekts jedenfalls dann zugrunde zu legen, wenn der Erbe bereits Eigentümer der zweiten Grundstückshälfte war und daher mit dem Erbfall Alleineigentümer wird.
Besonderheiten bei der Bewertung ergeben sich aber beispielsweise auch beim Vorhandensein von landwirtschaftlichem Vermögen. Unter den Voraussetzungen des § 2312 BGB ist für die Bewertung des Pflichtteilsanspruchs der Ertragswert maßgeblich.