1. Allgemeines
Rz. 64
Gemäß § 2325 Abs. 1 BGB kann der Pflichtteilsberechtigte einen Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen den oder die Erben geltend machen, wenn der Erblasser einem Dritten eine Schenkung gemacht hat. Berücksichtigt werden in der Regel gemäß § 2325 Abs. 3 S. 2 BGB nur Schenkungen, die innerhalb der letzten zehn Jahre vor dem Erbfall getätigt wurden. Für Erbfälle ab dem 1.1.2010 sieht das Gesetz in § 2325 Abs. 3 S. 1 BGB statt dem früher geltenden Alles-oder-Nichts-Prinzip eine Abschmelzung vor: Für jedes Jahr, das zwischen Schenkung und Erbfall vergeht, wird die Schenkung 10 % weniger berücksichtigt. Erfolgte die Schenkung an den Ehegatten, so beginnt die Zehnjahresfrist nicht vor Auflösung der Ehe (§ 2325 Abs. 3 S. 3 BGB).
Rz. 65
Nach Ansicht des BGH unterliegen grundsätzlich auch die ehebezogenen Zuwendungen dem Pflichtteilsergänzungsanspruch. Die Höhe des Pflichtteilsergänzungsanspruchs ist – vorbehaltlich einer zu berücksichtigenden Abschmelzung gemäß § 2325 Abs. 3 S. 1 BGB – der Betrag, um den sich der Pflichtteil erhöht hätte, wenn der verschenkte Gegenstand wertmäßig dem Nachlass hinzugerechnet worden wäre.
2. Der Schenkungsbegriff
Rz. 66
Der Schenkungsbegriff des § 2325 Abs. 1 BGB deckt sich mit dem des § 516 Abs. 1 BGB. Danach sind zwei Voraussetzungen für das Vorliegen einer Schenkung maßgebend, zum einen die objektive Bereicherung des Dritten und zum anderen das Einigsein zwischen Erblasser und Zuwendungsempfänger über die objektive Unentgeltlichkeit der Zuwendung. Entscheidend ist grundsätzlich nicht die Höhe des Vermögensabflusses, sondern das Maß der beim Zuwendungsempfänger bewirkten Bereicherung. Diese ist objektiv festzustellen. Die Bemessungsgrundlage für den Pflichtteilsergänzungsanspruch ist somit der Wert der unentgeltlichen Zuwendung. Vgl. zur Höhe des Pflichtteilsergänzungsanspruchs bei Schenkung als Abfindung für einen Erb- und Pflichtteilsverzicht OLG Hamm ZEV 2000, 277.
Die früher umstrittene Frage der pflichtteilsrechtlichen Behandlung von Zuwendungen an Stiftungen wurde vom BGH mit Urt. v. 10.12.2003 dahingehend beantwortet, dass auch endgültige unentgeltliche Zuwendungen an Stiftungen in Form von Zustiftungen oder freien oder gebundenen Spenden der Pflichtteilsergänzung unterfallen. Auf die Ausstattung einer Stiftung ist § 2325 BGB entsprechend anwendbar, denn Schenkung und Ausstattung einer Stiftung zu Lebzeiten sind bis auf den Akt der Begründung dieser Verpflichtungen im Wesentlichen identisch.
Rz. 67
Vereinbaren Schenker und Erwerber, nachdem der Schenkungsgegenstand übertragen wurde, nachträglich ein volles Entgelt für den Übergabegegenstand und die daraus vom Erwerber bereits gezogenen Nutzungen, steht dem Pflichtteilsberechtigten nach Ansicht des BGH beim Erbfall kein Pflichtteilsergänzungsanspruch wegen der ursprünglichen Schenkung zu.
3. Die Pflichtteilsergänzung beim Vertrag zugunsten Dritter
Rz. 68
Ein Vertrag zugunsten Dritter (z.B. Lebensversicherung) kann dann zu einem Pflichtteilsergänzungsanspruch führen, wenn im Valutaverhältnis zwischen Erblasser und Bezugsberechtigtem eine Schenkung vorliegt. Nach der Rechtsprechung des BGH bemisst sich die Bereicherung dabei nach dem Wert, den der Erblasser aus den Rechten seiner Lebensversicherung beim Erbfall nach objektiven Kriterien für sein Vermögen hätte umsetzen können. In aller Regel ist somit auf den Rückkaufswert abzustellen; je nach Lage des Einzelfalls kann aber auch ein – objektiv belegter – höherer Veräußerungswert heranzuziehen sein.
Rz. 69
Hinweis
Setzt der Erblasser seine Ehefrau als Bezugsberechtigte ein, dann liegt im Valutaverhältnis insoweit keine Schenkung vor, als es sich um eine angemessene Versorgung der Ehefrau handelt. Die Zuwendung ist dann nicht unentgeltlich, wenn sie sich im Rahmen einer den Lebensverhältnissen der Eheleute angepassten Alterssicherung bewegt.
4. Die Pflichtteilsergänzung bei Gesellschaftsanteilen an Personengesellschaften
Rz. 70
Umstritten ist die Frage, ob in gesellschaftsvertraglichen Abfindungsverzichten eine Schenkung zugunsten der anderen Mitgesellschafter zu sehen ist.
Rz. 71
Ausgehend von dem Schenkungsbegriff der §§ 516, 517 BGB muss es sich hierbei um eine objektive Bereicherung der übrigen Gesellschafter handeln und es muss Einigkeit darüber bestehen, dass die Zuwendung unentgeltlich erfolgt.
Rz. 72
Fraglich ist in der Literatur, worin die Zuwendung bei einem gesellschaftsvertraglich vereinbarten Abfindungsverzicht zu sehen ist. Teilweise wird vertreten, dass bereits der Abfindungsverzicht selbst ein Vermögensopfer ...