1. Allgemeines
Rz. 111
Nach § 2325 Abs. 1 BGB kann derjenige, der zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten zählt, von den Erben als Ergänzung des Pflichtteils den Betrag verlangen, um den sich der Pflichtteil erhöht, wenn der verschenkte Gegenstand dem Nachlass hinzugerechnet wird. Dem Wortlaut zufolge ergibt dies, dass zum realen Nachlass (die zum Zeitpunkt des Todes noch vorhandenen Gegenstände) sämtliche ergänzungspflichtigen Geschenke hinzuzuaddieren sind und sich hieraus, entsprechend der Pflichtteilsquote, ein Gesamtpflichtteil errechnet. Von diesem ist dann der ordentliche Pflichtteil abzuziehen, um die Höhe des reinen Ergänzungsanspruchs zu ermitteln.
Rz. 112
Beispiel (ohne Berücksichtigung einer vorzunehmenden Indexierung)
Der 2016 verstorbene Erblasser E hinterlässt seine Ehefrau F, mit der er im gesetzlichen Güterstand lebte, und seine beiden Kinder A und B. E setzte seine Ehefrau F zur Alleinerbin ein. Drei Jahre vor seinem Tod hatte E seinem Freund 10.000 EUR geschenkt. A und B machen ihren Pflichtteil und ihren Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend. Der reale Nachlass hat einen Wert von 20.000 EUR.
A und B erhalten jeweils einen ordentlichen Pflichtteilsanspruch in Höhe von 2.500 EUR (⅛ von 20.000 EUR realer Nachlass) und einen Pflichtteilsergänzungsanspruch in Höhe von 875 EUR (⅛ von 7.000 EUR – vgl. § 2325 Abs. 3 S. 1 BGB). Die Ehefrau F erhält als Alleinerbin den gesamten Nachlass in Höhe von 20.000 EUR. Sie muss jedoch die Pflichtteile von jeweils 2.500 EUR und Pflichtteilsergänzungsansprüche von jeweils 875 EUR auszahlen, da sie als Erbin die Pflichtteilsergänzungsansprüche zu tragen hat.
2. Anrechnung des Mehrempfangs, § 2326 S. 2 BGB
Rz. 113
Nach § 2326 S. 1 BGB kann der Pflichtteilsberechtigte den Ergänzungsanspruch auch dann fordern, wenn er selbst als Erbe eingesetzt ist. § 2326 S. 1 BGB hat lediglich klarstellende Funktion. Ist der pflichtteilsberechtigte Erbe aber auf mehr als seinen Pflichtteil eingesetzt, dann hat er sich gemäß § 2326 S. 2 BGB denjenigen Betrag auf seinen Ergänzungsanspruch anrechnen zu lassen, der den ordentlichen Pflichtteil übersteigt.
3. Anrechnung des Eigengeschenks, § 2327 BGB
Rz. 114
Eigengeschenke, die der Pflichtteilsberechtigte vom Erblasser erhalten hat, sind nach § 2327 BGB zu berücksichtigen und auch ohne ausdrückliche Anrechnungsbestimmung in Abzug zu bringen. Bei der Ermittlung des Ergänzungsnachlasses ist das Eigengeschenk dem Nachlass hinzuzurechnen und von dem daraus ermittelten Ergänzungsanspruch in voller Höhe abzuziehen. Zu beachten ist, dass im Rahmen des § 2327 BGB bei der Anrechnung des Eigengeschenks die Zehnjahresfrist des § 2325 Abs. 3 S. 1, 2 BGB keine Rolle spielt. Im Einzelnen vollzieht sich die Berechnung wie folgt:
Rz. 115
Beispiel
Der verwitwete Erblasser E hinterlässt einen Nachlass von 20.000 EUR. Alleinerbe wird sein Freund F. Sein einziges Kind K wird enterbt. Wenige Monate vor dem Tod hatten K von E ein Geschenk in Höhe von 8.000 EUR und die Freundin C ein Geschenk in Höhe von 12.000 EUR erhalten. Wie hoch ist der Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruch von K?
Der ordentliche Pflichtteilsanspruch des K ist ½ von 20.000 EUR = 10.000 EUR. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch berechnet sich wie folgt:
Der Ergänzungsnachlass beträgt 40.000 EUR (realer Nachlass 20.000 EUR + 20.000 EUR fiktiver Nachlass). Hiervon ½ Ergänzungspflichtteil = 20.000 EUR abzüglich des ordentlichen Pflichtteils von 10.000 EUR ergibt einen Pflichtteilsergänzungsanspruch in Höhe von 10.000 EUR. Auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch muss sich K jedoch gemäß § 2327 BGB das erhaltene Geschenk in Höhe von 8.000 EUR anrechnen lassen. K hat somit noch einen Pflichtteilsergänzungsanspruch in Höhe von 2.000 EUR gegen den Erben F.
Rz. 116
Des Weiteren ist zu beachten, dass das Eigengeschenk des Pflichtteilsberechtigten im Rahmen des § 2327 BGB nur auf den Ergänzungspflichtteil und nicht auch auf den ordentlichen Pflichtteil anzurechnen ist. Ist somit das Eigengeschenk größer als der dem Pflichtteilsberechtigten zustehende Ergänzungspflichtteil, so ist dieser nicht verpflichtet, etwas in den Nachlass zu zahlen oder das Eigengeschenk gar mit dem ordentlichen Pflichtteil zu verrechnen.
Rz. 117
Weiterhin gilt zu beachten, dass auch im Rahmen des § 2327 BGB nicht der "erweiterte Erblasserbegriff" gilt, d.h., dass der bereits vorverstorbene Ehegatte im Falle des Berliner Testaments nicht als Erblasser i.S.v. § 2327 BGB angesehen werden kann. Hat also der vorverstorbene Ehegatte ein Berliner Testament hinterlassen, dann sind die von ihm getätigten Geschenke nach dem Tod des längerlebenden Ehegatten bei der Pflichtteilsergänzung nicht zu berücksichtigen.
4. Die Einrede des § 2328 BGB
Rz. 118
Der Schuldner des Pflichtteils- und auch des Pflichtteilsergänzungsanspruchs ist grundsätzlich der Erb...