Rz. 121
Bei der Frage, gegen wen der Pflichtteilsergänzungsanspruch zu richten ist, wird oftmals angenommen, dass der Beschenkte selbst Schuldner des Anspruchs sei. Dieser Irrtum ist wohl darauf zurückzuführen, dass sich zunächst der Gedanke aufdrängt, derjenige, der etwas vom Erblasser erhalten hat, müsse auch für den daraus resultierenden Pflichtteilsergänzungsanspruch haften.
Rz. 122
Dem ist nicht so. Wie bereits erwähnt, sind grundsätzlich der oder die Erben Schuldner der Nachlassverbindlichkeiten und damit auch des Pflichtteilsergänzungsanspruchs. Nur wenn die Voraussetzungen des § 2329 Abs. 1 BGB vorliegen und der Erbe selbst nicht verpflichtet ist, kann gegen den Beschenkten vorgegangen werden.
Rz. 123
Der Anspruch aus § 2329 BGB ist, im Gegensatz zum Ergänzungsanspruch gegenüber dem Erben, nur ein bereicherungsrechtlicher Herausgabeanspruch. Der Beschenkte ist nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen verpflichtet, den geschenkten Gegenstand zum Zwecke der Befriedigung wegen des fehlenden Betrages herauszugeben. Er kann aber auch nach § 2329 Abs. 2 BGB die Herausgabe durch Zahlung des fehlenden Betrages abwenden. Der Anspruch aus § 2329 BGB ist immer subsidiär gegenüber dem Anspruch aus § 2325 BGB.
Rz. 124
Ist ein Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 BGB nur teilweise erfüllt, weil der Erbe selbst Beschenkter ist, so kann er, soweit er nach § 2325 BGB nicht verpflichtet ist, bezüglich des restlichen Teils auch als Beschenkter nach § 2329 Abs. 1 BGB in Anspruch genommen werden. Ist der Beschenkte selbst pflichtteilsberechtigt, dann steht ihm ebenso wie dem pflichtteilsberechtigten Erben die Einrede des § 2328 BGB zu.
Rz. 125
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch richtet sich aber nur dann nach § 2329 Abs. 1 BGB gegen den Beschenkten, wenn der Erbe "nicht verpflichtet" ist. Die Frage, wann der Erbe nicht mehr verpflichtet ist, führt zu erheblichen Streitigkeiten.
Rz. 126
Nach Ansicht des BGH ist der Erbe dann nicht verpflichtet, wenn er nur beschränkt (§§ 1975, 1990, 2060 BGB) für den Nachlass haftet und der Nachlass zur Pflichtteilsergänzung nicht ausreicht. Gleiches gilt für den Fall, dass dem Erben die Einrede nach § 2328 BGB wegen seines eigenen Ergänzungspflichtteils zusteht.
Rz. 127
Nach der Rechtsprechung ist der Erbe darüber hinaus auch dann nicht verpflichtet, wenn feststeht, dass ein Nachlass von vornherein wertlos bzw. überschuldet ist und zur Befriedigung von Pflichtteilsergänzungsansprüchen nicht ausreicht. Der BGH wendet zumindest beim pflichtteilsberechtigten Miterben zu Recht § 2329 Abs. 1 S. 2 BGB analog mit der Begründung an, dass hier eine mit dem Alleinerben vergleichbare Lage vorliegt. Denn die zu kurz gekommenen Miterben dürfen letztlich nicht schlechter gestellt werden als der Alleinerbe, wenn sie infolge vorangegangener Schenkungen einen zur Befriedigung der Ansprüche nicht ausreichenden Nachlass erhalten.
Rz. 128
Die Beweislast für die Frage, ob der Erbe nicht verpflichtet ist, trägt grundsätzlich der Pflichtteilsberechtigte.
Rz. 129
Einen weiteren Fall, in dem direkt gegen den Beschenkten vorgegangen werden kann, stellt § 2329 Abs. 1 S. 2 BGB dar. Macht der pflichtteilsberechtigte Alleinerbe selbst unter Berücksichtigung von § 2326 BGB einen Ergänzungsanspruch geltend, dann ist dieser ebenfalls, ohne Unterscheidung, ob der Alleinerbe beschränkt oder unbeschränkt haftet, gegen den Beschenkten zu richten.
Rz. 130
Hinweis
Eine Verpflichtung des Erben entfällt,
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wenn die Haftung der Erben nach §§ 1975, 1990, 2060 BGB beschränkt ist |
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wenn dem oder den Erben die Einrede des § 2328 BGB zusteht |
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wenn kein Nachlass vorhanden oder der Nachlass überschuldet ist |
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wenn der Pflichtteilsberechtigte Alleinerbe ist. |
Rz. 131
Hat der Erblasser mehrere Personen beschenkt, so ist bezüglich der Haftung eine besondere Reihenfolge der Inanspruchnahme zu beachten. Es gilt der in § 2329 Abs. 3 BGB niedergelegte Grundsatz, dass vorrangig immer nur derjenige, der das jüngste Geschenk erhalten hat, haftet. Ein früherer Beschenkter haftet nur, soweit ein späterer nicht verpflichtet ist. An der Haftungsreihenfolge kann der Erblasser durch eigene Anordnung nichts ändern. Auf mehrere Geschenke an dieselbe Person ist § 2329 Abs. 3 BGB nach einer Entscheidung des OLG Celle entsprechend anzuwenden.
Rz. 132
Nach der Rechtsprechung des BGH ist für die Bestimmung, welche Zuwendung zeitlich später erfolgte, auf den Vollzug der Schenkung abzustellen. Ist die Schenkung zum Zeitpunkt des Todes noch nicht vollzogen, so ist der Erbfall der maßgebliche Zeitpunkt. Reicht die Zuwendung an den zuletzt Beschenkten nicht aus, dann ist das nächstjüngere Geschenk in die Haftung zu nehmen.
Rz. 133
Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch die Frist des § 2325 Abs. 3 S. 1, 2 BGB. So kann beispielsweise der früher beschenkte Ehegatte, weil bei ihm die Frist nicht läuft, verpflichtet sein, während bei einem an sich später Beschenkten die Frist des § 2325 Abs. 3...