Rz. 136
Das Anrechnungsverfahren vollzieht sich dergestalt, dass der Wert der Zuwendung dem Nachlasswert hinzugerechnet und ein sog. Anrechnungsnachlass gebildet wird. Anschließend wird der Vorempfang von dem aus dem Anrechnungsnachlass bestimmten Pflichtteil in voller Höhe abgezogen. Im Gegensatz zur Bildung des Ausgleichungsnachlasses wird der Anrechnungsnachlass nicht durch Hinzurechnung aller anrechnungspflichtigen Zuwendungen gebildet, sondern für jeden Pflichtteilsberechtigten, der eine anrechenbare Zuwendung erhalten hat, wird eine gesonderte Berechnung durchgeführt. Es kommt hier auch nicht wie bei der Ausgleichung zu einem Abzug des Ehegattenanteils. Durch die Anrechnungsbestimmung sollen nicht die Rechte der anderen Abkömmlinge gestärkt werden, vielmehr will der Erblasser dadurch seine Verfügungsmöglichkeiten über sein Vermögen erweitern.
Rz. 137
Nach der Bildung des Anrechnungsnachlasses ist der gesetzliche Erbteil des Pflichtteilsberechtigten unter Berücksichtigung von § 2310 BGB und § 1371 BGB zu ermitteln und daraus der sog. Anrechnungspflichtteil. Von dem so ermittelten Anrechnungspflichtteil ist die Zuwendung abzuziehen, die dem realen Nachlass ursprünglich hinzugerechnet wurde.
Rz. 138
Gemäß § 2315 Abs. 2 S. 2 BGB ist auch bei der Anrechnung der Wert der Zuwendung zum Zeitpunkt des Empfangs maßgeblich. Der Erblasser kann jedoch hiervon abweichend anordnen, dass der Wert im Zeitpunkt des Erbfalles maßgeblich sein soll. Hierbei ist auch die Geldentwertung bzw. der Kaufkraftschwund zu berücksichtigen. Der Wert des Gegenstands zum Zeitpunkt der Zuwendung ist wertmäßig auf den Zeitpunkt des Erbfalls hochzurechnen. Für die Bemessung des Kaufkraftschwunds ist der Verbraucherpreisindex heranzuziehen. Es besteht aber grundsätzlich auch die Möglichkeit, dass der Erblasser eine bestimmte Festsetzung der anrechenbaren Werte vorgibt oder bspw. die Berücksichtigung des Verbraucherpreisindex ausschließt.
Rz. 139
Die Anrechnung auf den Pflichtteil vollzieht sich im Einzelnen unter Berücksichtigung des Verbraucherpreisindex wie folgt:
Rz. 140
Fall
Der verwitwete Erblasser E verstirbt 2022 und hinterlässt die Abkömmlinge K1 und K2. E hat K1 testamentarisch zum Alleinerben eingesetzt. K2 hatte von E bereits 2005 einen Vorempfang im Wert von 20.000 EUR erhalten mit der Bestimmung, dass sich K2 den Wert auf einen etwaigen Pflichtteilsanspruch anrechnen lassen müsse. Der Wert des Nachlasses beträgt 500.000 EUR. Wie hoch ist der Pflichtteilsanspruch von K2?
Lösung
Es ist nun zunächst der Anrechnungsnachlass zu bilden, indem die Vorempfänge des K2 (inflationsbereinigt) zum realen Nachlass hinzuaddiert werden.
Tatsächlicher Nachlasswert |
500.000 EUR |
Bildung des fiktiven Nachlasses |
20.000 EUR |
dividiert durch 81,5 und multipliziert mit 110,2 |
27.042,94 EUR |
ergibt einen Anrechnungsnachlass von |
527.042,94 EUR |
Die Pflichtteilsquote von K2 beträgt ¼. Von dem so errechneten Anrechnungspflichtteil ist dann der Vorempfang abzuziehen.
¼ Pflichtteilsquote |
131.760,73 EUR |
abzgl. Vorempfang |
27.042,94 EUR |
ergibt einen Pflichtteil von |
104.717,80 EUR |
K2 hat somit nur noch einen Pflichtteil in Höhe von |
104.717,80 EUR |