a) Allgemeines
Rz. 146
Der Schenkungsbegriff des § 2325 Abs. 1 BGB deckt sich mit dem des § 516 Abs. 1 BGB. Danach sind zwei Voraussetzungen für das Vorliegen einer Schenkung maßgebend: zum einen die objektive Bereicherung des Dritten und zum andern das Einigsein zwischen Erblasser und Zuwendungsempfänger über die objektive Unentgeltlichkeit der Zuwendung.
Rz. 147
Entscheidend ist grundsätzlich nicht die Höhe des Vermögensabflusses, sondern das Maß der beim Zuwendungsempfänger bewirkten Bereicherung. Diese ist objektiv festzustellen. Die Bemessungsgrundlage für den Pflichtteilsergänzungsanspruch ist somit der Wert der unentgeltlichen Zuwendung.
Rz. 148
Bei Lebensversicherungen war die Frage ihrer Bewertung lange Zeit umstritten: Teils wurde hier auf die Auszahlungssumme abgestellt, teils auf die Höhe der erbrachten Prämienzahlungen. Nach BGH gilt nun der Wert der widerruflich schenkweise zugewandten Lebensversicherung in der juristischen Sekunde vor dem Tod des Erblassers, also in der Regel der Rückkaufswert.
b) Pflicht- und Anstandsschenkung nach § 2330 BGB
Rz. 149
Ein Pflichtteilsergänzungsanspruch kommt aber dann nicht in Betracht, wenn es sich um eine Anstandsschenkung handelt. Anstandsschenkungen i.S.v. § 2330 BGB sind Zuwendungen wie z.B. übliche Gelegenheitsgaben zu bestimmten Anlässen, deren Vorliegen nach objektiven Kriterien (persönliche Beziehungen, Lebensstellung usw.) zu beurteilen ist. Darüber hinaus fallen unter § 2330 BGB auch diejenigen Schenkungen, die der Erblasser aus einer sittlichen Pflicht heraus zu erbringen hat. Im Gegensatz zur Anstandsschenkung kann es sich bei dieser Fallgruppe auch um Geschenke größeren Umfangs handeln.
Rz. 150
Als sittliche Pflicht können gelten die Sicherung des Lebensunterhalts für den Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, die Unterhaltszahlungen für nahe Verwandte, die Zuwendung eines Grundstücks für unbezahlte langjährige Dienste im Haushalt oder für unentgeltliche Pflege und Versorgung; die belohnende Zuwendung für Pflegeleistungen o.Ä. dagegen nur, wenn besondere Umstände, wie z.B. schwere persönliche Opfer, vorliegen. Hierbei handelt es sich aber nicht um allgemeingültige Kategorien. Die Frage, ob eine Schenkung i.S.v. § 2330 BGB ergänzungsfest ist, hängt stets vom Einzelfall ab!
Zuwendungen an Stiftungen, auch Zustiftungen, unterliegen der Pflichtteilsergänzung. Dies gilt auch in Bezug auf Vermögensgegenstände, die der Erblasser in eine Stiftung oder Anstalt liechtensteinischen Rechts einbringt.
c) Gemischte Schenkung und Auffassung der Parteien (Prinzip der subjektiven Äquivalenz)
Rz. 151
Dem Pflichtteilsergänzungsanspruch unterliegt immer nur der unentgeltliche Teil einer Zuwendung. Bei der Bewertung des Ergänzungsanspruchs ist demnach im Rahmen einer gemischten Schenkung immer die Gegenleistung abzuziehen.
In der Praxis ergibt sich oftmals die Schwierigkeit, dass nicht eindeutig geklärt ist, ob eine gemischte Schenkung vorliegt. Zweitens stellt sich das Problem, dass die Gegenleistung bewertet werden muss, um den unentgeltlichen Teil ermitteln zu können.
Rz. 152
Eine gemischte Schenkung liegt vor, wenn bei einem einheitlichen Vertrag der Wert der Leistung nur zum Teil dem Wert der Gegenleistung entspricht und die Parteien sich darüber einig sind, dass der überschießende Betrag unentgeltlich erfolgen soll (subjektive Äquivalenz). Somit ist grundsätzlich die Auffassung der Parteien entscheidend, ob eine Schenkung vorliegt. Fraglich ist, inwieweit die Parteien es in der Hand haben, die Entgeltlichkeit bzw. Unentgeltlichkeit zu bestimmen. Eine freie Bewertungsbefugnis der Parteien kommt nämlich dann nicht mehr in Betracht, wenn die getroffene Bewertung jeder sachlichen Grundlage entbehrt oder rein willkürlich ist. Die Parteien der Übergabe verfügen nur über einen engen Spielraum, innerhalb dessen die subjektive Bestimmung eine an sich fehlende Gegenleistung ersetzen kann. Andernfalls hätten sie die Möglichkeit, durch eine willkürliche Bemessung von Leistung und Gegenleistung die Rechtsfolgen des § 2325 BGB zu umgehen.
Rz. 153
Um den Pflichtteilsberechtigten nicht vor unlösbare Beweisprobleme zu stellen, wird seine Stellung durch eine Beweislastregelung verbessert. Stehen nämlich Leistung und Gegenleistung in einem auffälligen und groben Missverhältnis, spricht nach Auffassung des BGH eine tatsächliche Vermutung dafür, dass sich die Parteien über die Unentgeltlichkeit der Wertdifferenz einig waren und dass dann eine gemischte Schenkung vorliegt.
Rz. 154
Eine Anwendung der Beweislastregelung kann bereits dann...