Rz. 167
Gemäß § 2325 Abs. 3 BGB sind nur solche Schenkungen ergänzungspflichtig, die innerhalb von zehn Jahren vor dem Erbfall erfolgten. Fraglich ist, ab welchem Zeitpunkt die Frist zu laufen beginnt, da der in § 2325 Abs. 3 BGB genannte Zeitpunkt der "Leistungserbringung" ein durchaus dehnbarer Begriff ist. In Betracht kommen kann hier die bloße Leistungshandlung, aber auch der Leistungserfolg. Der BGH stellt grundsätzlich bei Mobilien und Immobilien auf den tatsächlichen Eigentumserwerb ab. Darüber hinaus hat der BGH die Zehnjahresfrist dahin gehend erweitert, dass auch diejenigen Schenkungen, die nicht endgültig aus dem wirtschaftlichen Vermögensbereich des Erblassers ausgegliedert wurden und bei denen sozusagen ein "Genussverzicht" nicht vorliegt, unter den Pflichtteilsergänzungsanspruch fallen.
Rz. 168
Bei Grundstücksübertragungen beginnt die Zehnjahresfrist mit vollständiger Ausgliederung des Vermögenswertes. Dies ist nach BGH die Eintragung der Rechtsänderung im Grundbuch. Etwas anderes kann sich aber dann ergeben, wenn das Grundstück unter Nießbrauchsvorbehalt oder unter Einräumung eines Wohnrechts übertragen wurde.
Rz. 169
Während man bei Schenkungen unter Ehegatten davon ausgeht, dass der Schenker weiterhin im Genuss des Schenkungsgegenstands bleibt und § 2325 Abs. 3 S. 3 BGB den Fristbeginn bereits von Gesetzes wegen bis zur Auflösung der Ehe hinausschiebt, hat der BGH weitere Fallgruppen gebildet, in denen die Frist ebenfalls nicht zu laufen beginnt, so bspw. für die Schenkung unter Nießbrauchsvorbehalt.
Rz. 170
Der BGH hat in seinem Urt. v. 27.4.1994 ausgeführt, dass eine Leistung i.S.d. § 2325 Abs. 3 S. 1 BGB a.F. (jetzt § 2325 Abs. 3 S. 2 BGB) nur dann vorliegt, wenn der Erblasser nicht nur seine Rechtsstellung als Eigentümer endgültig aufgibt, sondern auch dann, wenn er darauf verzichtet hat, den verschenkten Gegenstand im Wesentlichen weiter zu nutzen, sei es aufgrund Vorbehalts seiner dinglichen Rechte oder durch Vereinbarung schuldrechtlicher Ansprüche.
Rz. 171
Behält sich der Erblasser bei der Schenkung eines Grundstücks den Nießbrauch uneingeschränkt vor (Vorbehaltsnießbrauch), gibt er somit den "Genuss" des verschenkten Gegenstands nicht auf. Eine "Leistung" i.S.v. § 2325 Abs. 3 BGB im Hinblick auf den verschenkten Gegenstand liegt daher trotz Umschreibung im Grundbuch nicht vor. Die Frist des § 2325 Abs. 3 BGB beginnt nicht zu laufen.
Rz. 172
Nach h.M. ist die Einräumung eines Wohnrechts dem Nießbrauch gleichzustellen. Das heißt, dass die Frist auch insoweit erst ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, in dem das Wohnrecht erlischt bzw. der Berechtigte davon keinen Gebrauch mehr macht. Dies gilt zumindest dann, wenn das Wohnrecht die ganze Zuwendung erfasst bzw. der Schenker darauf verzichtet, den Gegenstand im Wesentlichen weiter für sich zu nutzen.
Rz. 173
Bei Schenkungen des Erblassers an den überlebenden Ehegatten beginnt die Zehnjahresfrist unabhängig vom Güterstand nicht vor Auflösung der Ehe (§ 2325 Abs. 3 S. 3 BGB). Die Ratio dieser im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 GG verfassungsrechtlich nicht unbedenklichen Sonderregelung für Zuwendungen an den Ehegatten ist neben der erhöhten Gefahr einer Verkürzungsabsicht von Pflichtteilsansprüchen der Umstand, dass der Erblasser bei Schenkungen an den Ehegatten noch kein spürbares Vermögensopfer erbringt. Das BVerfG hat mit seiner Entscheidung v. 26.11.2018 die Norm als verfassungsgemäß erachtet. § 2325 Abs. 3 S. 3 BGB setzt voraus, dass die Ehe zum Zeitpunkt der Schenkung bereits bestand. Eine entsprechende Anwendung der Vorschrift auf vor der Eheschließung vorgenommene Schenkungen unter künftigen Ehegatten wird von der h.M. jedoch abgelehnt.