aa) Allgemeines
Rz. 34
Der pflichtteilsberechtigte Erbe hat nach § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB a.F. die Möglichkeit, die Erbschaft auszuschlagen und seinen Pflichtteil zu verlangen, wenn ihm mehr als die Hälfte des gesetzlichen Erbteils zugewandt wurde und der Erbteil mit Beschränkungen oder Beschwerungen belastet ist. Das bedeutet, dass der Erbe mehr erhalten haben muss als seinen Pflichtteil. Hat er dagegen weniger als seinen Pflichtteil erhalten, so gilt § 2306 Abs. 1 S. 1 BGB a.F. Danach gelten Beschränkungen und Beschwerungen als nicht angeordnet, wenn der hinterlassene Erbteil die Hälfte des gesetzlichen Erbteils nicht übersteigt. Ist dem Erben also weniger als sein Pflichtteil zugewandt worden, dann hat er die in § 2306 Abs. 1 S. 1 BGB a.F. aufgezählten Beschränkungen und Beschwerungen nicht zu erfüllen.
Rz. 35
Der Erbteil kann eingeschränkt sein durch Beschwerungen, nämlich durch ein Vermächtnis oder durch eine Auflage. Die Beschränkungen können in der Anordnung eines Nacherben, der Ernennung eines Testamentsvollstreckers oder einer Teilungsanordnung bestehen. Die Einsetzung des Pflichtteilsberechtigten als Nacherbe steht einer Beschränkung der Erbeinsetzung gleich (§ 2306 Abs. 2 BGB). Die Aufzählung in § 2306 Abs. 1 BGB ist abschließend, eine Ausdehnung auf andere Tatbestände ist abzulehnen. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass § 2306 BGB auch keine Anwendung auf lebzeitige Belastungen findet. Hat der Erblasser seiner Ehefrau bereits zu Lebzeiten ein Nießbrauchsrecht an seinem Grundstück eingeräumt, so geht dieses mit dem Grundstück auf die Erben über, ohne dass eine Anwendung des § 2306 BGB in Betracht käme. Entfällt eine Beschränkung oder Beschwerung bereits nach § 2306 Abs. 1 S. 1 BGB, dann kann der pflichtteilsberechtigte Erbe die Erbschaft nicht mehr ausschlagen, um seinen vollen Pflichtteil geltend zu machen. Insoweit ist er auch nicht mehr schutzbedürftig. Er hat dann nämlich noch die Möglichkeit, seinen Restpflichtteil, die Differenz zwischen dem erlangten Erbteil und seinem eigentlichen Pflichtteil, nach § 2305 BGB zu fordern. Schlägt der Pflichtteilsberechtigte ein ihn belastendes Vermächtnis nicht aus, so muss er dieses auch auf Kosten seines Pflichtteils dulden.
bb) Feststellung der Höhe des hinterlassenen Erbteils
Rz. 36
Im Rahmen des § 2306 BGB a.F. stellt sich das Problem, wie die Höhe des hinterlassenen Erbteils zu bemessen ist. Es gilt hier die sog. Quotentheorie. Maßgebend für die Feststellung der Höhe des Erbteiles ist grundsätzlich allein die Quote des hinterlassenen Erbteils, ohne Berücksichtigung der Beschränkungen und Beschwerungen. Dies bedeutet, dass Vermächtnisse und Auflagen nicht in Abzug zu bringen sind. Auch auf den konkreten Wert der Zuwendung kommt es grundsätzlich nicht an. Es ist somit die konkrete Quote zu bestimmen.
Rz. 37
Ist diese höher als die Hälfte der gesetzlichen Erbquote (Pflichtteilsquote), so greift die Ausschlagungsmöglichkeit des § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB a.F. ein. Ist der Erbe auf eine konkrete Erbquote eingesetzt, die geringer als die Hälfte der gesetzlichen Erbquote ist, so gilt § 2306 Abs. 1 S. 1 BGB a.F., mit der Folge, dass die Beschränkungen und Beschwerungen gegenüber dem Pflichtteilsberechtigten als nicht angeordnet anzusehen sind. Ist in einer Verfügung von Todes wegen keine quotale Verteilung vorgenommen worden, so ist zunächst in einer Vorüberlegung nach den allgemeinen Regeln der Testamentsauslegung zu bestimmen, ob eine Erbeinsetzung gewollt war und in welcher Höhe. Danach ist dann zu prüfen, ob eine Ausschlagungsmöglichkeit nach § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB a.F. besteht.
cc) Sonderfälle (Werttheorie)
Rz. 38
Die Quotentheorie versagt aber dann, wenn zur Berechnung des Pflichtteils Werte heranzuziehen sind, die nicht effektiv im Nachlass enthalten sind. Dies ist bei Anwendung der Anrechnungsvorschriften gem. § 2315 BGB oder bei Anwendung der Ausgleichsvorschriften gem. § 2316 BGB der Fall. Denn hat der pflichtteilsberechtigte Erbe bereits einen ausgleichungspflichtigen Vorempfang erhalten, dann ist sein Pflichtteil in Wirklichkeit nicht mehr die Hälfte der gesetzlichen Erbquote, sondern nur die Hälfte des durch Ausgleichung ermittelten Erbteils (§§ 2050 ff., 2316 BGB). In diesen Fällen, in denen die Erb- und Pflichtteilsquote durch die für Vorempfänge geltende Rechenoperation verändert wird, ist der tatsächliche Wert des Pflichtteils, also der Wert nach vollzogener Rechenoperation, nicht aber die Hälfte des gesetzlichen Erbteils (Quote), mit dem Wert des hinterlassenen Erbteils, der sich aus der Quote ergibt, zu vergleichen.