Rz. 176

Bei Erbfällen, die nach dem 1.1.2010 eintreten, gilt die sog. Pro-Rata-Lösung: Nur im ersten Jahr vor dem Erbfall wird die Schenkung im vollen Umfang für die Pflichtteilsergänzung herangezogen. Innerhalb jedes weiteren Jahres vor dem Erbfall wird sie dann jeweils um 1/10 weniger berücksichtigt. Sind schließlich 10 Jahre seit der Leistung des verschenkten Gegenstands verstrichen, bleibt die Schenkung unberücksichtigt. Bei Schenkungen an Ehegatten gilt, dass die Frist nicht vor Auflösung der Ehe beginnt (§ 2325 Abs. 3 S. 3 BGB). Der Gesetzgeber hat keine Ausführungen dazu gemacht, ob die bisherige Rechtsprechung des BGH zum Genussverzicht dazu führt, dass die Frist gar nicht in Gang gesetzt wird. Es bleibt abzuwarten, ob in den Fällen eines mangelnden Genussverzichts Schenkungen in voller Höhe in die Pflichtteilsergänzung fallen und eine Frist nach § 2325 Abs. 3 BGB im Sinne der Pro-Rata-Lösung gar nicht erst in Gang gesetzt wird.[191]

 

Fall

Erblasser E hinterlässt seine Ehefrau F und seine beiden Kinder K1 und K2. E setzt seine Ehefrau F zur Alleinerbin ein. Im Januar 2020 hatte E seinem Freund D 10.000 EUR geschenkt. E stirbt im Februar 2022. K1 und K2 machen ihren Pflichtteil und ihren Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend. Der Nachlass hat einen Wert von 20.000 EUR.

Lösung[192]

K1 und K2 erhalten jeweils einen Pflichtteilsanspruch in Höhe von 2.500 EUR (⅛ von 20.000 EUR realer Nachlass) und einen Pflichtteilsergänzungsanspruch in Höhe von 1.000 EUR (⅛ von 10.000 EUR Schenkung an D = 1.250 EUR, gemindert um 20 % für jedes volle Jahr zwischen Schenkung und Erbfall: 250 EUR). Die Ehefrau F erhält als Alleinerbin den gesamten Nachlass in Höhe von 20.000 EUR. Sie muss jedoch die Pflichtteile von jeweils 2.500 EUR und Pflichtteilsergänzungsansprüche von jeweils 1.000 EUR auszahlen, da sie als Erbin die Pflichtteilsergänzungsansprüche zu tragen hat.

[191] Vgl. hierzu Bonefeld/Lange/Tanck, ZErb 2007, 292; Birkenbeil, ErbR 2021, 2.
[192] Fall ohne Berücksichtigung der inflationsmäßigen Hochrechnung.

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