Rz. 106
Die Feststellung des Nachlasswertes bereitet dem Anwalt in der Praxis erhebliche Schwierigkeiten. In manchen Fällen ist die exakte Bestimmung des Wertes gar nicht möglich. Während das Steuerrecht durch das Bewertungsgesetz und verschiedene Verwaltungserlasse eine umfangreiche Unterstützung bietet, mangelt es im zivilrechtlichen Bereich an solchen Vorschriften. Die Zentralnorm im BGB für die Wertbestimmung ist § 2311 Abs. 1 S. 1 BGB. Maßgeblich sind der Bestand und der gemeine Wert der Nachlassgegenstände im Zeitpunkt des Erbfalls. Bestimmungen des Erblassers sind insoweit unverbindlich (§ 2311 Abs. 2 S. 2 BGB). Die Wertermittlung erfolgt nach dem Stichtagsprinzip, d.h., grundsätzlich ist der Wert zum Zeitpunkt des Erbfalls maßgebend. Nachträgliche Wertsteigerungen oder Wertminderungen müssen deshalb außer Betracht bleiben. Eine bestimmte Bewertungsmethode ist hierbei, mit Ausnahme des § 2312 BGB (Wert eines Landguts), aber nicht vorgeschrieben.
Rz. 107
Der Pflichtteilsberechtigte ist wirtschaftlich so zu stellen, als sei der Nachlass beim Tod des Erblassers in Geld umgesetzt worden. Daher ist grundsätzlich auf den gemeinen Wert abzustellen, der dem Verkaufswert (Verkehrswert) entspricht. Eine bestimmte Methode der Wertberechnung ist, wie bereits erwähnt, im BGB nicht vorgeschrieben. Sie obliegt, wie J. Mayer zutreffend feststellt, dem Ermessensspielraum der Gerichte. Vorrangig gilt eine Bewertung, die sich an einen tatsächlichen Verkauf des zu bewertenden Nachlassgegenstands anlehnen kann. § 2311 Abs. 2 S. 1 BGB bestimmt aber, dass der Wert des Nachlassgegenstands im Zweifel zu schätzen, ggf. durch Sachverständigengutachten zu ermitteln ist.
Rz. 108
Die Schätzung ist nach gefestigter Rechtsprechung des BGH dann nachrangig, wenn der Nachlassgegenstand alsbald nach dem Erbfall veräußert wurde. Der BGH begründet dies damit, dass jede Schätzung mit einem Unsicherheitsfaktor belastet ist und es deshalb im erbrechtlichen Bewertungsrecht nicht sachgerecht ist, die "gesicherte Ebene" des tatsächlich erzielten Verkaufserlöses außer Acht zu lassen. Wann eine Veräußerung zeitnah ist und somit als Bewertungsmaßstab dienen kann, liegt im richterlichen Ermessen. Grundstücks- und Betriebsveräußerungen von bis zu einem Jahr nach dem Erbfall werden vom BGH als zeitnah angesehen. Das OLG Frankfurt hält eine Veräußerung innerhalb von 28 Monaten nach dem Erbfall noch für zeitnah. In Ausnahmefällen, wenn die Marktverhältnisse sich nicht wesentlich verändert haben, kann auch ein Verkaufserlös, der fünf Jahre nach dem Erbfall erzielt wurde, ausschlaggebend sein. Nach BGH hat somit eine grundsätzliche Orientierung am tatsächlichen Verkaufserlös zu erfolgen, wenn nicht
▪ |
seit dem Erbfall wesentliche Veränderungen der Marktverhältnisse eingetreten sind, |
▪ |
beim Verkauf von Grundstücken wesentliche Veränderungen der Bausubstanz dargelegt werden können oder außergewöhnliche Verhältnisse vorliegen, die ein Zugrundelegen des Verkaufserlöses nicht rechtfertigen. |
Beweisbelastet ist insoweit der Pflichtteilsberechtigte.