1. Allgemeines
Rz. 19
Einer jeden Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs sollte die Prüfung vorausgehen, ob der Pflichtteilsanspruch nicht erloschen ist. So kann der Pflichtteilsberechtigte bspw. bereits zu Lebzeiten auf sein Pflichtteilsrecht verzichtet haben. Des Weiteren kann der Pflichtteilsanspruch aufgrund einer Erb- und Pflichtteilsunwürdigkeit oder einer rechtmäßigen Pflichtteilsentziehung durch den Erblasser entfallen. Auch die Ausschlagung des Erbteils kann unter den falschen Voraussetzungen zu einem Verlust des Erb- und Pflichtteilsrechts führen.
Zudem ist es im Zusammenspiel mit der Rechtswahl (vgl. Art. 22 EuErbVO i.V.m. Anwendung englischen Rechts) grundsätzlich möglich, den Pflichtteilsanspruch auszuschließen. Ein solches Vorgehen verstößt jedoch dann gegen den deutschen ordre public i.S.v. Art. 35 EuErbVO, wenn die Rechtswahl dazu führt, dass bei einem Sachverhalt mit hinreichend starkem Inlandsbezug kein bedarfsunabhängiger Pflichtteilsanspruch eines Kindes besteht.
2. Erb- und Pflichtteilsunwürdigkeit gem. §§ 2339, 2345 Abs. 2 BGB
a) Allgemeines
Rz. 20
Die Gründe einer Erb- und Pflichtteilsunwürdigkeit sind in § 2339 BGB aufgelistet. Dabei werden von dem Begriff der Erbunwürdigkeit nicht nur die Erben, sondern auch Vermächtnisnehmer und Pflichtteilsberechtigte umfasst (§ 2345 BGB). Eine Erbunwürdigkeit zieht demnach eine Pflichtteilsunwürdigkeit nach sich. Erb- und Pflichtteilsunwürdigkeit bedeutet, dass dem durch Erbfolge Berechtigten das Erbrecht im Nachhinein entzogen wird.
b) Gründe für die Erb- und Pflichtteilsunwürdigkeit
Rz. 21
Erb- bzw. pflichtteilsunwürdig ist, wer den Erblasser vorsätzlich oder widerrechtlich getötet oder zu töten versucht hat. Gleiches gilt für den Fall, dass der Unwürdige den Erblasser in einen Zustand versetzt hat, der es dem Erblasser bis zum Tode unmöglich gemacht hat, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten oder aufzuheben (§ 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB).
Der Tatbestand der Pflichtteilsunwürdigkeit ist auch dann erfüllt, wenn der Pflichtteilsberechtigte den Erblasser durch arglistige Täuschung oder widerrechtliche Drohung gehindert hat, ein Testament zu errichten oder aber auch zu vernichten. Unter § 2339 Abs. 1 Nr. 2 BGB fällt auch der Fall, dass der Pflichtteilsberechtigte es absichtlich unterlässt, dem Willen des Erblassers auf Vernichtung eines Testaments nachzukommen, oder wenn er den Erblasser in den Glauben versetzt, es genüge für die Errichtung einer Verfügung von Todes wegen eine Form, die in Wirklichkeit nicht ausreichend ist.
Letztlich ist auch derjenige unwürdig, der durch arglistige Täuschung oder Drohung den Erblasser dazu bestimmt hat, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten (§ 2339 Abs. 1 Nr. 3 BGB), oder der sich in Ansehung einer Verfügung von Todes wegen der Urkundenfälschung strafbar gemacht hat (§ 2339 Abs. 1 Nr. 4 BGB).
Die Gründe, die eine Erbunwürdigkeit bestimmen, sind nicht identisch mit denen in § 1381 BGB. Deshalb ist bei festgestellter Erbunwürdigkeit des Ehegatten sein Anspruch auf den Zugewinnausgleich nicht ausgeschlossen. Nur wenn die Gewährung des Ausgleichsanspruchs dem Gerechtigkeitsempfinden in unerträglicher Weise widerspricht, ist dieser ausgeschlossen.
c) Gerichtliche Durchsetzung
Rz. 22
Die Erbunwürdigkeit kann durch Anfechtungsklage gegenüber dem Unwürdigen festgestellt werden. Ist dieser selbst pflichtteilsberechtigt, dann ist in dem Antrag auf Feststellung der Erbunwürdigkeit in der Regel auch eine Anfechtungserklärung nach § 2345 Abs. 2 BGB zu sehen. Anfechtungsberechtigt ist der Erbe oder derjenige, dem der Wegfall zustattenkommt. Die Anfechtungsklage ist nach § 2340 Abs. 2 S. 1 BGB erst nach dem Anfall der Erbschaft zulässig. Die Wirkung der Anfechtung tritt erst mit Rechtskraft des stattgebenden Urteils ein, § 2342 Abs. 2 BGB. Gemäß §§ 2340 Abs. 3, 2082 BGB beträgt die Anfechtungsfrist ein Jahr und beginnt mit Kenntnis des Anfechtungsgrundes. Im Fall des § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB soll es ergänzend erforderlich sein, dass der Anfechtungsberechtigte neben den objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmalen auch Kenntnis der schuldbegründenden Merkmale hat. Die Anfechtungsklage muss vor den ordentlichen Gerichten geltend gemacht werden, eine Geltendmachung bspw. im Erbscheinsverfahren ist nicht möglich. Nach h.M. handelt es sich bei der Anfechtungsklage um eine Gestaltungs- und nicht um eine Feststellungsklage, da die Wirkung der Anfechtungsklage durch stattgebendes Urteil die materielle Rechtslage ändert und daher gegenüber jedermann wirkt.
Rz. 23
Die separate Feststellung der Pflichtteilsunwürdigkeit hat grundsätzlich nur dann Bedeutung, wenn der Pflichtteilsberechtigte enterbt wurde und eine Pflichtteilsentziehung in der Verfügung von Todes wegen nicht erfolgte. Anders als die Feststellung der Erbunwürdigkeit durch Anfechtungsklage genügt für die Geltendmachung der Pflichtteilsunwürdigkeit die formlose Erklärung (§ 143 Abs. 1, Abs. 4 S. 1 BGB) gegenüber dem Unwürdigen, was auch im Wege der Einrede und der Leistungsverweigerung erfolgen kann. Die h.M. begründet dies mit einem geringen öffentl...