1. Allgemeines
Rz. 134
Bei der Anrechnung nach § 2315 BGB muss sich der Pflichtteilsberechtigte einen Vorempfang auf seinen Pflichtteilsanspruch anrechnen lassen, sofern der Erblasser die Zuwendung mit einer entsprechenden Anrechnungsbestimmung versehen hat. Dabei muss der Erblasser die Anrechnung spätestens im Zeitpunkt der Zuwendung bestimmt haben. Im Unterschied zur Ausgleichung erfolgt die Berechnung für jeden Pflichtteilsberechtigten gesondert. Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied. Darüber hinaus greift die Anrechnung für alle Pflichtteilsberechtigten ein, also auch bei Zuwendungen unter Ehegatten.
2. Anwendbarkeit des § 2315 BGB
Rz. 135
Die Anwendbarkeit des § 2315 BGB setzt voraus, dass der Erblasser eine Zuwendung mit der Bestimmung gemacht hat, dass diese auf den Pflichtteilsanspruch anzurechnen ist. Zeitlich muss die Anrechnungsbestimmung gleichzeitig mit der Zuwendung dem Empfänger zugehen. Sie kann aber auch vorher für eine oder mehrere später folgende Zuwendungen erfolgen und auch von einer Bedingung abhängig gemacht werden. Nicht möglich ist es nach h.M., dass die Anrechnungsbestimmung nach der Zuwendung, z.B. durch Verfügung von Todes wegen, erfolgt. Der Erblasser kann aber eine einmal getroffene Anrechnungsbestimmung nachträglich durch einseitige Verfügung, auch von Todes wegen, wieder aufheben. An die äußere Form der Anrechnungsbestimmung werden keine besonderen Anforderungen gestellt, sofern das der Zuwendung zugrunde liegende Kausalgeschäft nicht formpflichtig ist. Sie kann auch stillschweigend erfolgen. Eine stillschweigende Anrechnungsbestimmung ist aber nur dann anzunehmen, wenn der Empfänger sie bewusst erkannt hat und dennoch die Zuwendung nicht zurückweist. Die innere Form muss darauf gerichtet sein, dass die Zuwendung auf den Pflichtteil anzurechnen ist.
3. Durchführung der Anrechnung nach § 2315 BGB
Rz. 136
Das Anrechnungsverfahren vollzieht sich dergestalt, dass der Wert der Zuwendung dem Nachlasswert hinzugerechnet und ein sog. Anrechnungsnachlass gebildet wird. Anschließend wird der Vorempfang von dem aus dem Anrechnungsnachlass bestimmten Pflichtteil in voller Höhe abgezogen. Im Gegensatz zur Bildung des Ausgleichungsnachlasses wird der Anrechnungsnachlass nicht durch Hinzurechnung aller anrechnungspflichtigen Zuwendungen gebildet, sondern für jeden Pflichtteilsberechtigten, der eine anrechenbare Zuwendung erhalten hat, wird eine gesonderte Berechnung durchgeführt. Es kommt hier auch nicht wie bei der Ausgleichung zu einem Abzug des Ehegattenanteils. Durch die Anrechnungsbestimmung sollen nicht die Rechte der anderen Abkömmlinge gestärkt werden, vielmehr will der Erblasser dadurch seine Verfügungsmöglichkeiten über sein Vermögen erweitern.
Rz. 137
Nach der Bildung des Anrechnungsnachlasses ist der gesetzliche Erbteil des Pflichtteilsberechtigten unter Berücksichtigung von § 2310 BGB und § 1371 BGB zu ermitteln und daraus der sog. Anrechnungspflichtteil. Von dem so ermittelten Anrechnungspflichtteil ist die Zuwendung abzuziehen, die dem realen Nachlass ursprünglich hinzugerechnet wurde.
Rz. 138
Gemäß § 2315 Abs. 2 S. 2 BGB ist auch bei der Anrechnung der Wert der Zuwendung zum Zeitpunkt des Empfangs maßgeblich. Der Erblasser kann jedoch hiervon abweichend anordnen, dass der Wert im Zeitpunkt des Erbfalles maßgeblich sein soll. Hierbei ist auch die Geldentwertung bzw. der Kaufkraftschwund zu berücksichtigen. Der Wert des Gegenstands zum Zeitpunkt der Zuwendung ist wertmäßig auf den Zeitpunkt des Erbfalls hochzurechnen. Für die Bemessung des Kaufkraftschwunds ist der Verbraucherpreisindex heranzuziehen. Es besteht aber grundsätzlich auch die Möglichkeit, dass der Erblasser eine bestimmte Festsetzung der anrechenbaren Werte vorgibt oder bspw. die Berücksichtigung des Verbraucherpreisindex ausschließt.
Rz. 139
Die Anrechnung auf den Pflichtteil vollzieht sich im Einzelnen unter Berücksichtigung des Verbraucherpreisindex wie folgt:
Rz. 140
Fall
Der verwitwete Erblasser E verstirbt 2022 und hinterlässt die Abkömmlinge K1 und K2. E hat K1 testamentarisch zum Alleinerben eingesetzt. K2 hatte von E bereits 2005 einen Vorempfang im Wert von 20.000 EUR erhalten mit der Bestimmung, dass sich K2 den Wert auf einen etwaigen Pflichtteilsanspruch anrechnen lassen müsse. Der Wert des Nachlasses beträgt 500.000 EUR. Wie hoch ist der Pflichtteilsanspruch von K2?
Lösung
Es ist nun zunächst der Anrechnungsnachlass zu bilden, indem die Vorempfänge des K2 (inflationsbereinigt) zum realen Nachlass hinzuaddiert werden.
Tatsächlicher Nachlasswert |
500.000 EUR |
Bildung des fiktiven Nachlasses |
20.000 EUR |
dividiert durch 81,5 und multipliziert mit 110,2 |
27.042,94 EUR |
ergibt einen Anrechnungsnachlass von |
527.042,94 EUR |
Die Pflichtteilsquote von K2 beträgt ¼. Von dem so errechneten Anrechnungspflichtteil ist dann der Vorempfang abzuziehen.
¼ Pflichtteilsquote |
131.760,73 EUR |
abzgl. Vorempfang |
27.042,94 E... |