a) Grundsatz
Rz. 331
Die Entwicklung der Rspr. des BGH ist bewegt: Er hat bis zu einer Wende 2001 im qualifiziert faktischen Konzern die Haftung des eine GmbH beherrschenden unternehmerisch tätigen Gesellschafters kontinuierlich eingeschränkt. Nach der TBB-Entscheidung (1993) haftete der Gesellschafter analog §§ 302, 303 AktG, wenn er im Konzerninteresse die Leitungsmacht objektiv missbräuchlich zum Nachteil der GmbH ausübte und sich deren Nachteil wegen der Dichte der Einflussmaßnahmen nicht einzeln ausgleichen lasse. Der damalige Vorsitzende des Gesellschaftsrechts-Senats des BGH interpretierte das als Gesellschafterhaftung bei existenzvernichtendem Eingriff wegen Verletzung des Eigeninteresses der GmbH auf Bestandswahrung. Mit dieser Terminologie entscheidet der BGH in st. Rspr. seit 2001 (Bremer-Vulkan-Urteil): Der GmbH-Gläubigerschutz folge zwar in erster Linie aus den Kapitalerhaltungsvorschriften der §§ 30 f. GmbHG (vgl. Rdn 281 ff.); darüber hinaus habe die GmbH einen eigenständigen Anspruch auf Gewährleistung ihres Bestandes; der Gesellschafter müsse bei Eingriffen in das Vermögen der GmbH angemessen Rücksicht auf deren eigene Belange nehmen; die seien seiner Disposition entzogen; er dürfe nicht in Gläubiger schädigender Weise in den Bestand der GmbH eingreifen; allein- sowie einverständlich handelnde Gesellschafter hafteten den GmbH-Gläubigern für dadurch entstehende Nachteile, dass sie – auch noch im Stadium der Liquidation – der GmbH das Vermögen entziehen, das diese zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten benötigt. Haftungstatbestand ist der gezielte, betriebsfremden Zwecken dienende Eingriff in das GmbH-Vermögen. Das festzustellen erfordert Gesamtbetrachtung des Verhaltens des Gesellschafters. Entzug von Sicherungsgut eines einzelnen Gläubigers genügt nicht, erforderlich ist ein Eingriff in den sämtlichen Gläubigern dienenden Haftungsfonds; Gesellschafter seien den Gläubigern der GmbH nicht verpflichtet, deren Unternehmen fortzuführen; wollten sie dieses einstellen, müssten sie sich des gesetzlichen Verfahrens bedienen und die GmbH liquidieren. Zahlungen unter Verstoß gegen § 30 GmbHG und die (herkömmlichen) Eigenkapitalersatzregeln begründen Ansprüche der GmbH (analog) §§ 30, 31 GmbHG, sind aber keine Grundlage der Existenzvernichtungshaftung. Zunächst sah der BGH als deren Rechtsgrundlage die gesellschaftsrechtliche Sonderbeziehung der Gesellschafter; nur in besonderen Konstellationen stützte er sie auf § 826 BGB. Die Haftung setze voraus, dass die Nachteile nicht nach §§ 30 f. GmbHG ausgeglichen werden könnten. Die Gesellschafter könnten den Entlastungsbeweis (vgl. allg. zur Darlegungslast Rdn 338) führen, dass der GmbH im Vergleich zu der Vermögenslage bei einem redlichen Verhalten nur ein begrenzter, in diesem Umfang auszugleichender Nachteil entstanden ist. Organe des Gesellschafters haften grundsätzlich nicht persönlich; aber analog zu und neben ihm haftet, wer auf Gesellschafter beherrschenden Einfluss ausüben kann. Außerhalb des Insolvenzverfahrens können die Gläubiger die Gesellschafterhaftung unmittelbar geltend machen, soweit sie von der GmbH keine Befriedigung erlangen können.
Rz. 332
2007 in der Trihotel-Entscheidung hat der BGH die Rechtsgrundlage der Existenzvernichtungsaftung erneut verändert: Er hat die eigenständige Haftungsfigur aufgegeben, die an den Missbrauch der Rechtsform anknüpfte und als Durchgriffsaußenhaftung des Gesellschafters gegenüber den Gesellschaftsgläubigern ausgestaltet war. Seitdem knüpft er die Haftung "an die missbräuchliche Schädigung des im Gläubigerinteresse zweckgebundenen Gesellschaftsvermögens an und ordnet sie – in Gestalt einer schadensersatzrechtlichen Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft – allein in § 826 BGB als eine besondere Fallgruppe der sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung ein. Schadensersatzansprüche aus Existenzvernichtungshaftung gem. § 826 BGB sind gegenüber Erstattungsansprüchen aus §§ 31, 30 GmbHG nicht subsidiär; vielmehr besteht zwischen ihnen – soweit sie sich überschneiden – Anspruchsgrundlagenkonkurrenz." Die neue Fundierung der Haftung begegnet berechtigter Kritik: § 826 BGB müsse zu einer Außenhaftung führen, und rechtspolitisch sei bedenklich, dass § 826 BGB Schädigungsvorsatz voraussetzt.
Rz. 333
Die Haftung erfasst nicht EU-Auslandsgesellschaften.
Rz. 334
Der Gesellschafter muss Verzugszinsen ab der Entziehung des GmbH-Vermögens zahlen.
Rz. 335
Offene Fragen: Diskutiert wird, ob der BGH tatsächlich völlig abgekehrt ist von besonderen Haftungsgrundsätzen im qualifiziert faktischen Konzern und herrschende Gesellschafter nur noch für die GmbH existenziell schädigende Eingriffe haften. Nicht geklärt ist auch der Umfang der Haftung. Angeblich soll die Rspr. nicht als Einstieg in eine Haftung bei Unterkapitalisierung gedeutet werden (vgl. Rdn 326) – was inkonsequent ist: Wenn schon Entzug von erforderlichem Haf...