aa) Bis 2020 geltendes Recht
Rz. 113
Bis zum Coronoa-Krisenrecht (vgl. Rdn 114) musste jeder Geschäftsführer (einschl. des faktischen und einschl. von Liquidatoren) bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung (s.u.) ohne schuldhaftes Zögern spätestens binnen drei Wochen Insolvenzantrag stellen (§ 15a Abs. 1 S. 1 InsO a.F.). Die Antragspflicht regelt seit dem MoMiG (vgl. Rdn 3) nicht mehr das GmbHG, sondern (rechtsformneutral) die InsO mit Strafvorschriften für Verstöße gegen die Pflicht (§ 15a Abs. 4 bis Abs. 6 InsO) schon bei einem "nicht richtig" (Abs. 4 Nr. 2) gestellten Antrag. Mit der Verschiebung der Pflicht in das Insolvenzrecht wollte der Gesetzgeber – europarechtlich fragwürdig – erreichen, dass auch die Geschäftsleiter der von ihm ungeliebten Auslandsgesellschaften mit Verwaltungssitz oder Betrieb im Inland der Pflicht unterfallen. Eine Folge der Verschiebung ist, dass sich eine GmbH der Pflicht relativ leicht durch die (rechtzeitige) Verlagerung ihres Verwaltungssitzes ins Ausland entledigen kann. Bei Führungslosigkeit (vgl. Rdn 108) sind grundsätzlich die Gesellschafter zur Antragstellung verpflichtet (vgl. Rdn 341). Die Antragspflicht soll nicht schon entfallen, wenn Gläubiger Insolvenzantrag stellt. Der Geschäftsführer, der nicht selbst über ausreichende Kenntnisse zur Prüfung verfügt, ob die Voraussetzungen einer Insolvenzantragstellung vorliegen, muss sich bei Anzeichen einer Krise der GmbH unverzüglich und unter umfassender Darstellung der Verhältnisse der Gesellschaft einschl. Offenlegung erforderlicher Unterlagen von einer Person beraten lassen, die unabhängig und fachlich qualifiziert ist. Die bloße unverzügliche Auftragserteilung genügt nicht; der Geschäftsführer muss auf eine unverzügliche Vorlage des Prüfungsergebnisses hinwirken. Er muss durch ausreichende organisatorische Maßnahmen dafür sorgen, dass er jederzeit die Übersicht über die finanzielle und wirtschaftliche Lage der Gesellschaft hat, sonst ist er u.a. dem Vorwurf des Verstoßes gegen das Zahlungsverbot nach § 64 GmbHG a.F./§ 15b Abs. 1, Abs. 5 InsO n.F. ausgesetzt (vgl. Rdn 126).
Zahlungsunfähigkeit liegt nach § 17 Abs. 2 InsO vor, wenn die GmbH nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen; sie ist nach der widerleglichen Vermutung von Abs. 2 S. 2 "in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat" – d.h. nach dem BGH, wenn er einen maßgeblichen Teil der fälligen Verbindlichkeiten nicht bezahlt; das könne nicht nur durch eine Gegenüberstellung der beglichenen und der offenen Verbindlichkeiten festgestellt werden, sondern auch mittels Indiztatsachen. Zahlungsunfähigkeit ist abzugrenzen von Zahlungsstockung: Diese nimmt der BGH so lange an, wie die Gesellschaft "sich die benötigten Mittel … leihen" kann, wofür drei Wochen "erforderlich, aber auch ausreichend" sind; betrage die innerhalb der Zeit nicht zu beseitigende Liquiditätslücke weniger als 10 % der fälligen Gesamtverbindlichkeiten, ist nach dem BGH regelmäßig von Zahlungsfähigkeit auszugehen, wenn nicht bereits absehbar ist, dass die Lücke "demnächst" höher werde; betrage diese mehr als 10 %, sei regelmäßig Zahlungsunfähigkeit anzunehmen, sofern nicht "ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" die Lücke zumindest "demnächst … fast vollständig beseitigt" werden könne und den Gläubigern das Zuwarten im Einzelfall zuzumuten sei.
Drohende Zahlungsunfähigkeit ist nach § 18 Abs. 2 InsO gegeben, wenn die GmbH voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, ihre Zahlungspflichten bei Fälligkeit zu erfüllen. Diese ist bei Antragstellung durch Geschäftsführer in vertretungsberechtigter Zahl (§ 18 Abs. 3 InsO) nach § 18 Abs. 1 InsO zwar ein Grund für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens; die Geschäftsführer trifft aber keine Antragspflicht; sie löst lediglich eine "Beobachtungspflicht" aus (vgl. Rdn 91). Drohende Zahlungsunfähigkeit ist auch im Insolvenzstrafrecht (§§ 283, 283d StGB) sowie im Anfechtungsrecht (§ 3 Abs. 1 S. 2 AnfG, § 133 Abs. 1 S. 2 InsO) bedeutend. Sie berechtigt die Geschäftsführer nicht zur Stellung eines Insolvenzantrags ohne Zustimmung der Gesellschafter; denn die Verfahrenseröffnung führt gem. § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG zur Auflösung der GmbH; bei einem Verstoß gegen dieses Verbot machen sich die Geschäftsführer schadensersatzpflichtig gem. § 43 Abs. 2 GmbHG.
Nach § 19 Abs. 2 InsO a.F. liegt Überschuldung vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Auf den Wert des Schuldnervermögens kommt es also nicht ausschließlich an. Die GmbH ist schon dann nicht insolvent, wenn die Unternehmensfortführung "überwiegend wahrscheinlich" ist, selbst wenn ihr Vermögen ihre Verbindlichkeiten nicht mehr deckt. Das lässt sich grafisch so darstellen:
Die positive Fortführungsprognose setzt kumulativ Fortführungswillen und ...